Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 16
Das Internationale Schuldvertragsrecht ist als Verweisungsrecht nur anwendbar, soweit der Fall nicht bereits durch vorrangig anwendbares Sachrecht als Entscheidungsrecht gelöst wird (s Kropholler IPR § 12 S 95; Brödermann/Rosengarten/Brödermann, 8. Aufl Rz 276f): (i) durch unionsrechtliches Sachrecht (zB das Kartellverbot in Art 101 AEUV; EG-Verordnungsrecht), das kraft eigenen (europäischen) Anwendungsgebots zur Anwendung kommt (EuGH Urt v 15.7.64 – C-6/64 Slg 64, 1251 – Costa/ENEL; Schlussantrag Lagrange EuGH Slg 64, 1281, 1284 ff); oder (i) durch staatsvertraglich vereinheitlichtes Sachrecht mit eigenen Rechtsanwendungsnormen, die internationalprivatrechtliche Regelungen (iwS) darstellen (zB Art 1 I CMR-Übereinkommen, Art 1 I a des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG); Staud/Magnus Einl ROM I Rz 3). Soweit vorrangiges Sachrecht keine Regelung trifft – zB Art 78 CISG keine Regelung zur Zinshöhe (Staud/Magnus Art 78 CISG Rz 12f) – ist das Vertragsstatut nach Art 3 ff ROM I zu bestimmen. Wird das CISG durch unwirksame Einbeziehung von AGB nach dem (strengeren) Maßstab des CISG nicht wirksam durch eine in den AGB enthaltene Rechtswahlklausel ausgeschlossen, bleibt es bei der Anwendung des CISG.
Rn 17
Soweit das (allg) Internationale Schuldvertragsrecht in Art 3 ff ROM I (insb Art 3–8, 14, 15) grds anwendbar ist, erfasst es alle Fragen, die durch entspr Qualifikation (s Art 3 EGBGB Rn 34 ff) einer schuldvertragsrechtlichen IPR-Norm zugeordnet wurden. Dies schließt die Qualifikation von in einer Sachnorm vorausgesetzten Vorfragen (s Art 3 EGBGB Rn 46 ff) und in einer Kollisionsnorm vorausgesetzten Erstfragen (s Art 3 EGBGB Rn 46) – etwa nach dem Bestehen eines Schuldverhältnisses – ein. Art 20 ROM I schließt die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung für das Schuldvertragsrecht aus.
Rn 18
Das durch Anwendung von Art 3 ff ROM I zunächst ermittelte Ergebnis (Bestimmung eines Vertragsstatuts) kann der Korrektur bedürfen: (1) weil die Sonderanknüpfung eines anderen Rechts als des Vertragsstatuts angeordnet wird durch: (a) Art 46b EGBGB und Art 3 ff ROM I selbst: Art 3 III, 6 II, 8 I oder 9; (b) internationale Üb (Art 3 Ziff 2 EGBGB; zB Art VIII Abschn 2b 1 des Üb von Bretton Woods für bestimmte Devisenkontrakte; Mayer/Heuzé Rz 797) oder (c) vorrangige Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft (s Art 3 Ziff 1 EGBGB); (2) weil die Berücksichtigung fremden Rechts nach Art 9 III ROM I erforderlich ist; (3) weil das materielle Ergebnis der Anwendung des Vertragsstatuts mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist (ordre public-Prüfung nach Art 21 ROM I, s Art 21 ROM I Rn 5; selten: Staud/Magnus Einl ROM I Rz 75); (4) weil im Einzelfall eine Angleichung des Ergebnisses geboten ist (s Art 3 EGBGB Rn 59 ff).
Rn 19
Das Vertragsstatut beherrscht im Grundsatz das gesamte Vertragsverhältnis (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 3): Zustandekommen und Wirksamkeit (Art 10), Inhalt der Ansprüche, Erlöschen und Folgen der Nichtigkeit (Art 12), s Art 12 Rn 5 ff für Einzelheiten. Das Internationale Schuldvertragsrecht bestimmt ferner das Statut des kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrages (Rechtswahlvertrag) in einer Rechtswahlklausel (Art 3 V ROM I; s Art 3 Rn 1).
Rn 20
Ausnahmen: Gesondert anzuknüpfen sind die Teilfragen (s Art 3 EGBGB Rn 33) und Vorfragen (s Art 3 EGBGB Rn 46), zB nach der Rechts- und Geschäftsfähigkeit (Art 7, 12; s hierzu auch die Verkehrsschutznorm Art 13 ROM I), der Form (Art 11 ROM I) oder der – schon nach Art 1 II lit g von Art 3 ff ausgenommenen – Vertretungsmacht (BGH NZG 03, 922, 923 [BGH 31.07.2003 - III ZR 353/02]; für die organschaftliche Vertretungsmacht s.u. IPR-Anh 4/IntGesR Rn 10 unter III.1 und für die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht s.u. Art 8 EGBGB). Ausgenommen vom Anwendungsbereich der Rechtswahl nach Art 3 sind Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art 1 II lit e).