Gesetzestext
(1) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die
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typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder |
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eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, |
ist unzulässig.
(2) Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft ist darüber hinaus auch bei der Begründung, Durchführung und Beendigung sonstiger zivilrechtlicher Schuldverhältnisse im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 unzulässig.
(3) Bei der Vermietung von Wohnraum ist eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen und ausgewogener Siedlungsstrukturen sowie ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse zulässig.
(4) Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf familien- und erbrechtliche Schuldverhältnisse.
(5) 1Die Vorschriften dieses Abschnitts finden keine Anwendung auf zivilrechtliche Schuldverhältnisse, bei denen ein besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis der Parteien oder ihrer Angehörigen begründet wird. 2Bei Mietverhältnissen kann dies insbesondere der Fall sein, wenn die Parteien oder ihre Angehörigen Wohnraum auf demselben Grundstück nutzen. 3Die Vermietung von Wohnraum zum nicht nur vorübergehenden Gebrauch ist in der Regel kein Geschäft im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1, wenn der Vermieter insgesamt nicht mehr als 50 Wohnungen vermietet.
A. Einordnung und Zweck.
Rn 1
§§ 19–21 sind die zivilrechtlichen Bestimmungen des AGG. § 19 regelt das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot, § 20 Rechtfertigungsgründe, § 21 Rechtsfolgen nicht gerechtfertigter Benachteiligungen. Zu Übergangsbestimmungen s § 33 (§ 33 Rn 2 f).
Rn 2
§ 19 soll Schutz vor ungerechtfertigter Diskriminierung und Privatautonomie in angemessenen Ausgleich bringen. Nur bestimmte privatrechtliche Schuldverhältnisse fallen bei ihrer Begründung, Durchführung und Beendigung unter das Benachteiligungsverbot (BTDrs 16/1780, 40).
Rn 3
Die Aufnahme der Merkmale Religion, Behinderung, Alter und sexuelle Identität geht über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus, die lediglich Benachteiligungen wegen Rasse, ethnischer Herkunft (RL 2000/43/EG, Art 3 I e)–h)) oder Geschlecht (RL 2004/113/EG, Art 3 I) untersagt haben.
B. Benachteiligungsverbot, Abs 1.
Rn 4
Außer ›Weltanschauung‹ (BTDrs 16/2022, 13; BGH NJW 13, 1519 [BGH 15.01.2013 - XI ZR 22/12]) erfasst I alle Merkmale nach § 1 (§ 1 Rn 3 ff). §§ 19–21 betreffen zivilrechtliche Schuldverhältnisse in Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen (§§ 25–30) und dem Beschäftigtenschutz (§§ 6–18) (BAG NZA-RR 20, 50 [BGH 25.04.2019 - I ZR 272/15]).
Rn 5
Massengeschäfte gem I Nr 1: ›Ohne Ansehen der Person‹ wird ein Schuldverhältnis begründet, durchgeführt und beendet, wenn die genannten Differenzierungsgründe – bei allg typisierender Betrachtung – keine Rolle spielen (BTDrs 16/1780, 41). Stipendienvergabe (BGH NJW 20, 852) und Kreditgeschäft (für Girovertrag offengelassen: BGH NJW 13, 1519 [BGH 15.01.2013 - XI ZR 22/12]; wie hier BKG § 19 Rz 9; Looschelders JZ 12, 105, 108; Schürnbrand BKR 07, 305) fallen nicht darunter. Ob ein Anbieter ›zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen‹ anbietet, ist aus dessen Sicht zu beurteilen (BTDrs 16/1780, 41). Bsp sind öffentliche Verkehrsmittel (Benachteiligung bejaht, wenn nicht-binäre Person beim Erwerb von Online-Tickets nur zwischen Anrede ›Frau‹ und ›Herr‹ wählen kann, Frankf NJW-RR 22, 1254 [OLG Frankfurt am Main 21.06.2022 - 9 U 92/20]; Karlsr NJW 22, 791), Gastronomie (für Hotel zweifelnd BGH NJW 12, 1725 [BGH 09.03.2012 - V ZR 115/11]). Für Vermieter ist ein Richtwert von 50 Wohnungen vorgesehen, § 19 V 3. Dieser sollte auch Anhaltspunkt für andere Verträge sein (BKG § 19 Rz 7, 22; § 19 V 3), wurde allerdings zur Klarstellung ausdrücklich nur für Wohnraumvermietung eingefügt, da diese idR kein Massengeschäft darstelle (BTDrs 16/2022, 13; Rn 6, Rn 9). Zur Diskriminierung beim Einsatz Künstlicher Intelligenz Lauscher/Legner ZfDR 22, 367.
Rn 6
Nr 1 Var 2 stellt Massengeschäften Geschäfte gleich, bei denen das Ansehen der Person eine nachrangige Bedeutung hat, jedoch eine Rolle spielt. Auch hier bedarf es vergleichbarer Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen (BKG § 19 Rz 10; Rolfs NJW 07, 1490; aA Wackerbarth ZIP 07, 454 ff), die Gesetzesbegründung nennt als Bsp lediglich große Wohnraumanbieter (BTDrs 16/1780, 42; aA Wackerbarth ZIP 07, 453 ff). Auch hier greift die widerlegbare Vermutung des § 19 V 3 (Rn 5, Rn 9). Bsp sind Reisegeschäfte (Schrader/Schubert Rz 784), nicht jedoch Kreditgeschäfte (Rn 5; aA Nicolai Rz 742).
Rn 7
Nr 2 er...