Gesetzestext
Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.
A. Systematik.
I. Gesamtplan des Gesetzgebers.
Rn 1
Das Erste Buch des BGB soll nach dem Gesamtplan des BGB-Gesetzgebers solche Normen enthalten, die für alle Bücher und Materien des Bürgerl Rechts Geltung beanspruchen, die also ›vor die Klammer‹ gezogen werden können. Diese Technik führt zu hoher Abstraktion und setzt eine sehr gute Durchdringung der zu regelnden Materie voraus. Auf diese Weise enthält das erste Buch des BGB gewisse Grundstrukturen (Rechtssubjekte, Rechtsobjekte, Rechtsgeschäfte), die im gesamten Privatrecht von zentraler Bedeutung sind und die unnötige Wiederholungen vermeiden. Die Voraussetzungen für die Schaffung des AllgT sind insb von der Pandektistik erarbeitet worden. Als Gliederung findet sich die vom BGB übernommene Aufteilung wohl erstmals im Grundriss eines Systems des gemeinen Zivilrechts von Heise (1807).
II. Rechtssubjekte.
Rn 2
Sie sind als Träger von Rechten und Pflichten gekennzeichnet. Das Gesetz regelt sie in §§ 1–89. Im Einzelnen s.u. Rn 7.
III. Rechtsobjekte.
Rn 3
Der Begriff der Rechtsobjekte als Oberbegriff für die (körperlichen) Sachen und die (nicht körperlichen) Rechte sowie die Tiere wird im System des BGB vorausgesetzt. § 90 spricht vom Gegenstand als Oberbegriff von Sache und Recht. Hinzu kommen im Gesetz teilw Regelungen für Sachgesamtheiten oder das gesamte Vermögen (§§ 92 II, 311b II, III). Zu Daten, Software und digitalisierten Informationen s § 90 Rn 5.
IV. Rechtsgeschäfte.
Rn 4
Der Begriff der Rechtsgeschäfte, wie er als Titel des 3. Abschn verwendet wird (§§ 104–185), umfasst alles Handeln durch Willenserklärungen, das auf die Erzielung eines rechtlich gewollten Erfolgs ausgerichtet ist.
B. Normzweck.
Rn 5
Die Regelung des § 1, wie sie unverändert seit 1900 besteht, enthält nur eine konkrete Aussage über den Beginn der Rechtsfähigkeit des Menschen. Damit setzt diese Norm den Begriff der Rechtsfähigkeit (s.u. Rn 7) als solchen und das gesamte System der Rechtssubjekte voraus. Nach der Systematik des Privatrechts sind Zurechungssubjekte für Rechte und Pflichten immer nur entweder Personen oder Gemeinschaften. Als Personen kennt das BGB nur die natürliche Person (§§ 1–14) und die juristische Person (§§ 21–89, also Vereine, Stiftungen und juristische Personen des öffentlichen Rechts). Die Regelung ist bezüglich der juristischen Personen sehr unvollständig. Hinzu kommen im Privatrecht noch die AG, die GmbH, die KGaA, die eingetragene Genossenschaft sowie der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, im öffentlichen Recht die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, nicht aber der AStA einer Universität (Frankf NJW 18, 1106 [OLG Karlsruhe 15.09.2017 - 6 W 31/17]). Allen diesen Personen kommt kraft Definition Rechtsfähigkeit zu. Demgegenüber hat der Gesetzgeber den Gemeinschaften ursprünglich eine Rechtsfähigkeit nicht oder nur sehr eingeschränkt zuweisen wollen. Hier hat die Rspr in jüngerer Zeit starke Veränderungen vorgenommen (s.u. Rn 9 und § 14 Rn 6). Als Gemeinschaften kannte das Privatrecht nur die Gesamthandsgemeinschaften (GbR, oHG, KG, Gütergemeinschaft, Erbengemeinschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Partenreederei, EWIV) und die Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741–758). Durch die Rspr des BGH seit 2001 und nunmehr durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts v 10.08.21 (BGBl I 3436), in Kraft seit 1.1.24, hat sich die Systematik grundlegend verändert (Rn 9).
Rn 6
§ 1 setzt neben dem System der Rechtssubjekte auch den Begriff der Rechtsfähigkeit als solchen voraus (s.u. Rn 7). Dabei geht die gesetzliche Regelung ganz selbstverständlich davon aus, dass Rechtsfähigkeit als Eigenschaft jeder natürlichen und jeder juristischen Person zukommt. Eine Person ohne Rechtsfähigkeit gibt es nicht (zu den Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit s.u. Rn 8, 9). Rechtsfähigkeit ist daher auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit, der Religion, Abstammung, Beruf oder des Geschlechts. Allerdings bedeutet die Zuerkennung der allg Rechtsfähigkeit nicht, dass nicht spezielle Zuordnungen eine besondere Rechtsfähigkeit voraussetzen. So kann für einzelne Rechte und Pflichten ein bestimmtes Alter, Geschlecht, Verwandtschaft usw spezielle Voraussetzung sein. Dagegen sind besondere berufliche Voraussetzungen vom Begriff der Rechtsfähigkeit zu trennen. Zur Rechtsfähigkeit der Gemeinschaften s.u. § 14 Rn 6, zur Sonderstellung des nichtrechtsfähigen Vereins s.u. § 54, zur Vorgesellschaft vgl § 11 GmbHG. Der Versuch, die Rechtsfähigkeit und die Rechtspersönlichkeit auch den Tieren, der Natur oder automatisierten Systemen (Künstliche Intelligenz) zuzusprechen, geht fehl. Mit der Zuordnung von Rechtssubjektivität auf nichthumane Substrate würde die normative Grundordnung aufgelöst (Di Fabio JZ 20, 1073, 1078). Eine solche Rechtssubjektivität wäre stets nur ein Handeln des Menschen mit sich selbst. Der Antropozentrismus ist unüberwindbar.
C. Begriff der Rechtsfähigkeit.
I. Begriff.
Rn 7
Der Begriff der Rechtsfähigkeit ist im Gesetz nicht festgelegt, sondern er wird vorausgesetzt. Nach heute weithin anerkannter Auffassung wird Rechtsfähigkeit verstanden als die F...