I. Rechtsstellung des Nasciturus.
1. Begriff.
Rn 18
Der Gezeugte, aber noch nicht Geborene wird als Nasciturus (Leibesfrucht) bezeichnet. Zeugung ist die Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle. Abw davon regelt das Strafrecht in § 218 I 2 StGB als Beginn des Schutzes der Leibesfrucht die Einnistung des befruchteten Eis in die Gebärmutter (Nidation). Die Regelung kann für das Privatrecht nicht gelten (aA Soergel/Fahse § 1 Rz 27). Auch wenn der Nasciturus verfassungsrechtlich (vgl BVerfG NJW 93, 1751) oder strafrechtlich schon als geschütztes Rechtssubjekt anzusehen ist, kommt ihm doch kraft ausdrücklicher Regelung des § 1 noch nicht die (privatrechtliche) Rechtsfähigkeit zu. In Übereinstimmung damit kann der Nasciturus auch im Strafrecht nicht Gegenstand von Mord und Totschlag sein (§§ 211 ff StGB), ist also noch kein Mensch. Der Sondertatbestand der Abtreibung (§ 218 StGB) ist daher die konsequente Schließung einer ansonsten bestehenden Schutzlücke. Die heute im Verfassungsrecht vorherrschende Terminologie, auch der Nasciturus sei bereits ein Mensch, ist daher für das Privatrecht und das Strafrecht nicht hilfreich (vgl Roller Die Rechtsfähigkeit des Nasciturus, 13, die für eine beschränkte Rechtsfähigkeit plädiert; Mahr Der Beginn der Rechtsfähigkeit und die zivilrechtliche Stellung ungeborenen Lebens, 07).
2. Schutzvorschriften.
Rn 19
Auch ohne Rechtsfähigkeit wird der Nasciturus an einigen Stellen des Gesetzes besonders geschützt. Er kann Erbe sein (§ 1923 II), ebenso Nacherbe (§ 2108), Vermächtnisnehmer (§ 2178), ferner wird er als Miterbe geschützt (§ 2043). Er hat Ersatzansprüche wegen Tötung eines Unterhaltsverpflichteten (§ 844 II 2; § 10 II 2 StVG; § 35 II 2 LuftVG; § 5 II 2 HaftpflichtG; § 28 II 2 AtG). Zulässig ist für ihn ein Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 331 II), und für ihn kann zur Sicherung künftigen Unterhalts schon vor der Geburt eine einstweilige Verfügung erwirkt werden (§ 1615o). Zur Wahrung der Rechte des Nasciturus kann ein Pfleger bestellt werden (§ 1912). Schließlich wird der Nasciturus iRd gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten gleichgestellt (§ 12 SGB VII). Alle diese Erwerbs- und Schutztatbestände stehen aber unter der aufschiebenden Bedingung, dass später ein lebend geborenes Kind existiert (s.u. Rn 21). Daher kann die Schenkung eines Gesellschaftsanteils an den Nasciturus vor der Geburt nicht ins Handelsregister eingetragen werden (Celle ZIP 18, 685).
3. Ausweitung des Schutzes.
Rn 20
Die im G genannten Regelungen schützen den Nasciturus nur lückenhaft. Daher ist in der Praxis seit längerem eine Ausweitung des Schutzes im Wege der Analogie vorgenommen worden. Anerkannt ist das Bestehen von Schadensersatzansprüchen bei vorgeburtlicher Schädigung, sei es aus Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter oder insb aus § 823 (BGHZ 58, 48; s § 823 Rn 28). Weiterhin wird man auch außerhalb der §§ 331 II, 1923 II, 2108, 2178 einen Rechtserwerb des Nasciturus zulassen müssen. Über § 844 II 2 hinaus können dem Nasciturus Ersatzansprüche bei Schäden zustehen, die er mittelbar infolge schädigender Handlungen gegen einen Unterhaltsverpflichteten erleidet (MüKoBGB/Schmitt § 1 Rz 33).
4. Teilrechtsfähigkeit.
Rn 21
Aus den vorgenannten Regelungen und Analogien wird heute weithin gefolgert, der Nasciturus sei im Privatrecht bereits partiell rechtsfähig (Teilrechtsfähigkeit). Darin liegt ein Missverständnis des Begriffs der Rechtsfähigkeit, die Rechtssubjekten nur als volle Rechtsfähigkeit zustehen kann (s.o. Rn 8). Dies wird praktisch daran deutlich, dass jeder Rechtserwerb des Nasciturus unter der aufschiebenden Bedingung entsteht, dass später ein lebend geborenes Kind existiert. Im Falle einer Totgeburt kommt es nicht zum Rechtserwerb. Schon dies zeigt, dass der Nasciturus zwar gesetzlich geschützt wird, dadurch aber noch nicht zum (teilrechtsfähigen) Subjekt im Privatrecht wird. Er ist daher nicht staatsangehörigkeitsfähig (OVG Bautzen NJW 09, 2839).
II. Rechtsstellung des noch nicht Gezeugten.
1. Begriff.
Rn 22
Der noch nicht Gezeugte, bei dem also die Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle noch fehlt (nondum conceptus) kann an sich mangels Vorhandensein eines Zuordnungssubjektes noch keine rechtliche Bedeutung aufweisen. Dennoch hat das Gesetz einzelne rechtliche Anknüpfungspunkte zum Schutz eines künftigen Menschen vorgesehen. Auch diese Rechtspositionen stehen jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass sie nur vollwirksam entstehen können, wenn später eine Lebendgeburt vorliegt.
2. Rechtslage.
Rn 23
Der noch nicht Gezeugte kann als Nacherbe oder Vermächtnisnehmer eingesetzt werden (§§ 2101 I, 2106 II, 2162, 2178). Möglich ist auch ein Vertrag zu Gunsten Dritter (§ 331 II). Die denkbaren Rechte eines noch nicht Gezeugten werden durch einen Pfleger wahrgenommen (§ 1913). Von Bedeutung für den noch nicht Gezeugten ist weiterhin das EmbryonenschutzG, das seit 1.1.91 in Kraft ist. Über die gesetzliche Regelung hinaus wird auch hier im Wege der Analogie ein weitergehender Rechtserwerb für möglich gehalten. So hat die Rspr die Eintragung einer Hypothek zu Gunsten eines noch nicht Gezeugten für zulässig erachtet (RGZ 61, 355; RGZ 65, 277). Auch einen Schadensersatzanspru...