Rn 1
§ 1004 wird als Schutznorm des Eigentums (Art 14 GG; § 903) neben § 242 zu den ›Auffang-Paragraphen‹ gezählt und damit zu den für die Praxis wichtigsten Bestimmungen des BGB überhaupt. Dementsprechend ist die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen (ausf MüKo/Baldus § 1004) dazu ebenso groß wie die der Urteile, denen – auch in entspr Anwendung – diese Regelung (mit) zu Grunde liegt. Eine dieser entspr Regelung für den Besitzschutz gibt § 862 vor.
I. Kernvorgabe.
Rn 2
I 1 stellt zunächst durch Umschreibung (›in anderer Weise‹) eine – wichtige – Ergänzung des § 985 dar, der nur die Fälle der Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes regelt: Wird auf das Eigentum in anderer Weise nachteilig eingewirkt, so kann vom Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangt werden. I 2 erweitert dies für in der Zukunft zu befürchtende (›zu besorgende‹) Beeinträchtigungen durch die Möglichkeit einer Unterlassungsklage (ausf: Lettl JuS 05, 871 [BVerfG 18.07.2005 - 2 BvR 2236/04]).
Die Abwehrmaßnahmen nach § 1004 werden – ebenso wie § 985 bei Vorliegen eines Besitzrechts nach § 986 – durch II dahingehend eingeschränkt, dass sie ausgeschlossen sind, sofern der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Darüber hinaus ergänzt § 1004 I auch die Regelungen des § 823 I und II: Während Schadensersatzansprüche zwingend Verschulden (§§ 276, 278) voraussetzen, genügt hinsichtlich des Beseitigungsanspruchs allein schon die Rechtswidrigkeit, wie durch einen Umkehrschluss aus II ersichtlich wird. Eine ausdrückliche Anwendbarkeit wird § 1004 für die Beeinträchtigung von Grunddienstbarkeiten zugeschrieben, § 1027. Über Verweisungen ist die Norm insb auch zu berücksichtigen iRd §§ 1065, 1090 II, 1227 sowie der §§ 8 PachtkreditG, 11 I 1 ErbbauVO und 34 II WEG.
II. Erweiterter Anwendungsbereich.
Rn 3
Über den Wortlaut des I hinaus haben Rspr und Lehre den § 1004 zu einem allgemeinen Abwehranspruch gegen Beeinträchtigungen nicht nur des Eigentums an sich, sondern auch von absoluten Rechten und Rechtsgütern iSd § 823 I (insb Persönlichkeitsrecht; Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) entwickelt. Dementsprechend häufig wird eine Gesamtanalogie zu den §§ 12, 862, 823, 1004 zitiert. § 1004 erhält so den Status einer Generalregelung, deren Vorgaben in entspr Anwendung Grundlage für die Lösung einer Vielzahl von Fallkonstellationen (s.u. C) sind.
III. Störer.
Rn 4
Zunächst gilt es zwischen den Oberbegriffen des Handlungsstörers bzw Zustandsstörers zu unterscheiden. Dadurch erfolgt eine Abgrenzung zwischen aktivem Tun oder Unterlassen einerseits und der Herrschaft über eine Sache andererseits. Die Kasuistik zu diesen Begriffen ist nahezu unübersehbar, zumal auch die Begrifflichkeiten selbst als nicht praxiskonform bezeichnet und deshalb zT durch den von Medicus begründeten ›Tätigkeitsstörer‹ bzw den ›Untätigkeitsstörer‹ ersetzt werden (MüKo/Raff § 1004 Rz 165 ff). Nach der Rspr ist Handlungsstörer, wer eine Beeinträchtigung des Eigentums eines anderen durch seine Handlung unmittelbar oder mittelbar bzw ebenso durch Unterlassen notwendigen Handelns adäquat verursacht hat (BGH NJW-RR 01, 232 [BGH 22.09.2000 - V ZR 443/99]). Zustandsstörer hingegen ist, wer als Eigentümer, Besitzer oder anderweitig Verfügungsberechtigter nicht verhindert, dass durch den Zustand einer Sache das Eigentum eines anderen beeinträchtigt wird, obwohl Gegenmaßnahmen ergriffen werden könnten (vgl ua BGH NJW 03, 2377 [BGH 30.05.2003 - V ZR 37/02]; NJW-RR 01, 1208 [BGH 16.02.2001 - V ZR 422/99]). Die Beeinträchtigung muss dabei zumindest mittelbar auf seinen Willen zurückgehen (BGH NJW-RR 11, 739 [BGH 01.04.2011 - V ZR 193/10]). Die der Praxis zu entnehmenden unzähligen Störungskonstellationen erfordern jedoch eine Definition des Störerbegriffs, die zugleich Grenzziehung zum Nichtstörer ist: Störer ist damit jeder Mensch (unabhängig vom Alter bzw der Geschäftsfähigkeit), der Eigentum sowie Rechtsgüter und absolute Rechte eines anderen rechtswidrig nicht achtet, obwohl er diese Achtung aufbringen und damit zum Nichtstörer werden könnte. Gehen Störungen dinglicher Rechte vom Besitzer oder vom Zustand eines Grundstücks aus, so macht das Eigentum am Grundstück den Eigentümer nur dann zum Zustandsstörer, wenn er noch Einwirkungsmöglichkeiten hat (BGH NJW 98, 3278 [BGH 07.07.1998 - VI ZR 241/97]; BGH NJW 04, 603 [BGH 28.11.2003 - V ZR 99/03]; Ausf: Walter, Störerhaftung bei Handeln Dritter). Zum Mieter als Störer (entspr Störung durch den Besitzer): KG NJW-RR 06, 1239 [KG Berlin 21.03.2006 - 4 U 97/05].
IV. Beeinträchtigung.
Rn 5
Trotz der mehrfachen Nennung (zB §§ 906, 916, 1027, 1065) findet sich im BGB keine Legaldefinition für den Begriff der Beeinträchtigung. § 1004 stellt auf die Beeinträchtigung des Eigentums – nicht aber des Eigentümers – ab, so dass es zunächst nur auf die objektive Beeinträchtigung des Eigentumsrechts an sich ankommt. Im Hinblick auf die von Rspr und Lehre entwickelte Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1004 auf absolute Rechte (vgl Rn 3), sind nun jedoch auch subjektive Merkmale mit einzubeziehen. Der Begriff de...