Gesetzestext
(1) 1Zu Gunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei. 2Dies gilt jedoch nicht einem früheren Besitzer gegenüber, dem die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist, es sei denn, dass es sich um Geld oder Inhaberpapiere handelt.
(2) Zu Gunsten eines früheren Besitzers wird vermutet, dass er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen sei.
(3) Im Falle eines mittelbaren Besitzes gilt die Vermutung für den mittelbaren Besitzer.
A. Regelungsinhalt.
Rn 1
§ 1006 ist nur anwendbar für bewegliche Sachen und Tiere (§ 90a), für Immobilien gilt allein § 891; bei Schuldurkunden (vgl § 952 I 1), Wertpapieren und dem Kfz-Brief (jetzt: Zulassungsbescheinigung Teil II) als in der Praxis häufigstem Fall greift die Bestimmung ebenfalls nicht: Eine widerlegliche Vermutung greift laut BGH für ein Eigentumsrecht zu Gunsten des unmittelbaren, des früheren (II) sowie des mittelbaren Besitzers (III) (NJW 72, 2268 [BGH 25.09.1972 - VIII ZR 81/71]; 78, 1854 [BGH 08.05.1978 - VIII ZR 46/77]). Die Vermutung basiert darauf, dass das Eigentum gleichzeitig mit dem Besitz erworben wurde (MüKo/Raff § 1006 Rz 44). Die Vermutung greift jedoch nach I 2 ggü einem früheren Besitzer nicht, wenn diesem die Sache gestohlen worden oder bei ihm sonst abhandengekommen bzw verloren gegangen ist (zu diesen Voraussetzungen s näher oben § 935). Zur Eigentumsvermutung beim Vermieterpfandrecht s BGH, MDR 17, 811 [BGH 03.03.2017 - V ZR 268/15].
Rn 2
Diese Einschränkung gilt jedoch nicht bei Geld oder Inhaberpapieren. Es besteht weiterhin, trotz des Nachweises eines Diebstahls oder Verlustes durch einen früheren Besitzer, die Eigentumsvermutung zu Gunsten des derzeitigen (Eigen-)Besitzers. Die Verknüpfung des II mit I 2 ergibt sich über die Brücke des früheren Besitzes: Kann der frühere Besitzer den Nachweis des Diebstahls, Verlustes oder sonstigen Abhandenkommens führen, so spricht für ihn die Eigentumsvermutung des II. Der Nachweis des Eigentumserwerbs fällt dadurch auf den (un)mittelbaren Besitzer zurück. Ein solcher wäre in den Fällen des I 2 nur über eine Ersitzung, § 937 bzw Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung, §§ 946 ff, möglich. § 1006 stellt somit eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Besitzers dar, der durch bloßes In-Händen-Halten der Sache seine Eigentümerstellung für sich reklamieren kann. Um diese zu widerlegen, muss der Eigentümer den Beweis hinsichtlich seines Eigentumserwerbs und dessen Fortbestand erbringen. So kommt dem Vermieter iSd Vermieterpfandrechts die Vermutung für den Mieter nach § 1006 zugute (BGH Urt v 3.3.17 – V ZR 268/15 = NJW-RR 17, 1097).
B. Praktische Handhabung.
Rn 3
Trägt der Besitzer vor, ursprünglich Fremdbesitz und erst danach Eigenbesitz begründet zu haben, so entfällt die Vermutungswirkung (BGH LM Nr 17 zu § 1006). In diesem Fall muss der ursprüngliche Fremdbesitzer seinen Eigentumserwerb darlegen und beweisen. Die Vermutungsregelung für den Besitzer erfordert grds nur den Nachweis seines Besitzes, so dass im Streitfall der einfache Satz ›der Besitzer ist Eigentümer, § 1006 BGB‹ genügt. Diese Vermutung kann der Eigentümer durch den Nachweis (bspw Urkunden oder Zeugen) widerlegen, dass mit dem Besitzerwerb nicht auch das Eigentum erworben wurde (MüKo/Raff § 1006 Rz 48 ff). Dies ist in der Praxis oft nur schwierig umzusetzen. Dies gilt verstärkt bei Ehegatten gem § 1362 bzw Lebenspartnerschaften gem § 8 LPartG, für die eine Eigentumsvermutung zu Gunsten von Gläubigern eines Teils gilt. Weiter ist zu beachten: Bei Mitbesitz besteht gem § 1006 eine Vermutung für Miteigentum. Auf die Eigentumsvermutung des § 1006 kann sich dabei nicht nur der begünstigte Besitzer selbst, sondern grds jeder, der sein Recht von dem ehemaligen Besitzer ableitet, berufen (stRspr BGH BGHZ 156, 310; BGHZ 161, 90; MDR 17, 811).
Sollte sich eine Sache zum Zeitpunkt des Eigenbesitzerwerbes oder während der Dauer des Besitzes im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland befunden haben, findet § 1006 über das internationale Privatrecht Anwendung, Art 43, 45 EGBGB.
C. Prozessuale Besonderheiten.
Rn 4
Wird der Eigentumserwerb durch qualifizierten Sachvortrag bestritten, kann der Besitzer dadurch gezwungen werden, Umstände seines Eigentumserwerbs vorzutragen. Damit wird zwar keine Beweislast zum Eigentumserwerb selbst begründet, jedoch dem Prozessgegner, der die Vermutung zu widerlegen hat, die Beschränkung auf den vom Besitzer behaupteten Erwerbsgrund ermöglicht (BGH FamRZ 70, 586; BGH NJW 02, 2102 [BGH 22.03.2002 - V ZR 405/00]; MüKo/Raff § 1006 Rz 49). Das erkennende Gericht hat die Widerlegung der Vermutung eine sichere Überzeugung zugrunde zu legen (BGH Beschl v 26.9.20 – 5 StR 456/19).