Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock
Gesetzestext
Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit beschränkt.
A. Normzweck und Bedeutung.
Rn 1
Das Gesetz ermöglicht Personen, bei welchen die Fähigkeit zu einer vernünftigen Willensbildung nur eingeschränkt besteht, iRd §§ 106–113 am Rechtsverkehr teilzunehmen. Die Vorschriften haben sowohl Schutz- als auch Erziehungszweck.
Rn 2
Da das Gesetz von der vollen Geschäftsfähigkeit als Regelfall ausgeht, ist die beschränkte Geschäftsfähigkeit der zu beweisende Ausnahmefall. Zur Sicherheit des Rechtsverkehrs wird der Kreis der beschränkt Geschäftsfähigen rein objektiv durch das Alter bestimmt. Die im Einzelfall bestehende geistige Reife ist ohne Bedeutung. Der gute Glaube des Vertragspartners an die Volljährigkeit ist nicht geschützt (LG Mannheim NJW 69, 239 [LG Mannheim 30.10.1968 - 6 S 66/68]), auch dann nicht, wenn der Minderjährige wahrheitswidrig behauptet hat, er sei volljährig. Die falsche Behauptung, volljährig zu sein, löst keine Haftung des Minderjährigen aus § 313 oder Ansprüche analog § 122 aus, denn der Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen hat Vorrang vor dem Vertrauensschutz des Vertragspartners. Sofern die Deliktsfähigkeit des § 828 III zu bejahen ist, besteht jedoch ein deliktischer Anspruch aus § 823 II iVm § 263 StGB, (s § 828 Rn 6). Ersetzt wird nur der dem Vertragspartner durch die unerlaubte Handlung entstandene (Vertrauens-)Schaden. Keine Haftung besteht bei unterlassenem Hinweis auf die Minderjährigkeit bei Vertragsschluss. Den Minderjährigen trifft keine Aufklärungspflicht (Hamm NJW 66, 2359 [OLG Hamm 28.01.1966 - 4 U 211/65]; MüKo/Spickhoff Rz 17).
B. Begriffsbestimmung.
Rn 3
Die Fähigkeit, in den durch §§ 107 ff gezogenen Grenzen am Rechtsverkehr teilzunehmen beginnt am siebten Geburtstag (0 Uhr) und endet mit Eintritt der Volljährigkeit (§ 2), am 18. Geburtstag (0 Uhr). Das BGB bezeichnet diese Altersgruppe pauschal als Minderjährige. Den Begriff des Jugendlichen, den § 1 II JGG für die 14- bis 18-Jährigen verwendet und den des Heranwachsenden für die 18- bis 21-Jährigen, kennt das Bürgerliche Recht nicht. Der Betreute, bei dem ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden ist, steht einem beschränkt Geschäftsfähigen weitgehend gleich (§ 1825 I 2, III). Da der beschränkt Geschäftsfähige sich nicht durch Verträge selbst verpflichten kann, ist er nicht prozessfähig (§ 52 ZPO), soweit er nicht nach §§ 112, 113 als unbeschränkt geschäftsfähig anzusehen ist oder Ausnahmevorschriften seine Prozessfähigkeit (§ 60 FamFG, § 62 I Nr 2 VwGO, § 71 SGG) oder ein selbstständiges Beschwerderecht vorsehen.
C. Sonderregelungen.
Rn 4
Zum Schutz des Minderjährigen gelten für den Zugang von Willenserklärungen (§ 131 II), den beschränkt geschäftsfähigen Vertreter mit (§ 165) und ohne Vertretungsmacht (§ 179 III) und die Verjährung von Ansprüchen (§ 210) eigene Regelungen. Für bestimmte Rechtsgeschäfte gelten Sondervorschriften innerhalb des BGB etwa bei Eheschließung (§ 1303), Eheverträgen (§ 1411), Verfügungen bei Gütergemeinschaft (§ 1516), Anerkennung (§ 1596) und Anfechtung (§ 1600a II) der Vaterschaft, Sorgerechtserklärungen (§ 1626c), Annahme als Kind (§ 1746), Testierfähigkeit (§§ 2229 I, 2233 I, 2247 IV), Erbvertrag (§§ 2275 II, 2296) und Erbverzicht (§§ 2347 II, 2351), außerhalb des BGB in § 9 FamFG, § 5 S 1 RelKErzG, Art. 8 I DSGVO, § 19 StGB bzw § 1 JGG.
D. Diskrepanzen.
Rn 5
Probleme entstehen dort, wo es zu Wechselwirkungen zwischen der beschränkten Geschäftsfähigkeit nach § 106 und der mit vollendetem 16. Lebensjahr bestehenden beschränkten Testierfähigkeit des § 2229 I kommt. Angesichts der für die Errichtung eines öffentlichen Testaments anfallenden Kosten ist die Beauftragung des Notars für den Minderjährigen nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Gleichwohl geht der Gesetzgeber mit Blick auf die nach § 11 BeurkG erforderliche Geschäftsfähigkeit davon aus, dass die Beauftragung des Notars dem Minderjährigen aus eigenem Entschluss möglich, der Testierfähigkeit also insoweit der Vorrang eingeräumt ist (zu Recht krit Naczinsky NZFam 18, 713).
Rn 6
Entspr Diskrepanzen bestehen auch zwischen der mit Vollendung des 14. Lebensjahres bestehenden Verfahrensfähigkeit des § 9 FamFG zB in Sorgerechtsverfahren und der beschränkten Geschäftsfähigkeit. Für die nicht lediglich rechtlich vorteilhafte Beauftragung eines Rechtsanwalts als Verfahrensbevollmächtigten durch den Minderjährigen wird tw eine analoge Anwendung von §§ 107, 112 erwogen (Hambg FamRZ 18, 105; Dresd FamRZ 14, 1042. Nach hM kann hingegen der Minderjährige ohne Einwilligung keinen wirksamen Geschäftsbesorgungsvertrag schließen (Staud/Klumpp Vor §§ 104–115 Rz 142; Erman/Müller § 106 Rz 3; Frankf NZFam 22, 688 Rz 12). Die Möglichkeit der Bewilligung von VKH ändert daran nichts (Frankf NZFAm 22, 688 Rz 12).