I. Auslegung.
Rn 12
Ergibt die Auslegung, dass das Gewollte, also nicht das irrtümlich Erklärte, als Erklärungsinhalt gilt (BGHZ 71, 247), scheidet eine Anfechtung aus. Hat der Erklärungsempfänger den Irrtum erkannt, gilt das Gewollte (BGH NJW-RR 95, 859 [BGH 22.02.1995 - IV ZR 58/94]).
II. Falsa demonstratio.
Rn 13
Verstehen die Parteien die Erklärung abw von ihrer eindeutigen Wortbedeutung, gilt die Erklärung nach dem Grundsatz falsa demonstratio non nocet im übereinstimmend gemeinten Sinn (BGH NJW 94, 1528 [BGH 20.01.1994 - VII ZR 174/92]; § 133 Rn 21). Bei diesem Sonderfall der Auslegung ist eine Anfechtung ausgeschlossen.
III. Dissens.
Rn 14
Während sich beim Irrtum Wille und Erklärung nicht decken, stimmen beim versteckten Dissens zwei Willenserklärungen – auch nach ihrer Auslegung – nicht überein. Da eine Fehlvorstellung über die Erklärung des anderen Teils herrscht, ist eine Anfechtung ausgeschlossen.
IV. Bewusste Unkenntnis.
Rn 15
Gibt der Erklärende eine Erklärung in dem Bewusstsein ab, ihre Bedeutung nicht zu kennen und ohne sich eine Vorstellung über ihren Inhalt zu machen, liegt keine zur Anfechtung berechtigende unbewusste Abweichung von Wille und Erklärung vor (BGH DB 67, 2115).
1. Unterzeichnung ungelesener Urkunden.
Rn 16
Wer eine Urkunde ungelesen und in Kenntnis ihrer Rechtserheblichkeit, aber ohne Bewusstsein ihres Inhalts unterschreibt, kann idR nicht anfechten (BGH NJW 68, 2103; 99, 2665; 02, 957). Grds gilt dies auch für der deutschen Sprache Unkundige (BGHZ 87, 114; BGH NJW 14, 1242 Tz 8; Köln VersR 00, 244), Lese- und Schreibunkundige (LG Köln WM 86, 822) und diejenigen, die den Erklärungsinhalt nicht verstanden haben (Köln VersR 00, 244 [OLG Köln 01.07.1998 - 27 U 6/98]). Zu erwägen ist aber ein Anspruch aus §§ 280 I, 311 II Nr 1, 241 II. Besaß der Erklärende eine – wenn auch unzutreffende – Vorstellung über den Erklärungsinhalt, kommt eine Anfechtung in Betracht (BGH NJW 95, 191; 17, 1660 [BGH 15.02.2017 - VIII ZR 59/16]; AG München 18.6.14, 271 C 30721/13, becklink 1035416, vergessene Brille). Ein Irrtum gem § 119 I Alt 2 liegt vor, wenn Urkunden verwechselt werden. Ein Irrtum nach § 119 I Alt 1 liegt vor, falls eine unrichtige Vorstellung herrscht, weil etwa eine im notariellen Vertrag eingefügte Klausel beim Verlesen überhört (BGHZ 71, 263) oder eine vom Gegner angefertigte Urkunde in der irrigen Annahme unterzeichnet wird, sie stimme mit den Vertragsverhandlungen überein, obwohl sie abw Erklärungen beinhaltet. Enthält eine arbeitsrechtliche Ausgleichsquittung die Erklärung, weitere Rechtsansprüche bestünden nicht mehr, und versteht der ArbN dies nur als Quittung für den restlichen Arbeitslohn und den Empfang der Papiere, kann er seine Erklärung wegen des Verzichts auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage anfechten (BAG NJW 71, 640 [BAG 27.08.1970 - 2 AZR 519/69]).
2. AGB.
Rn 17
Für die Unterzeichnung ungelesener AGB gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze. Eine Anfechtung kommt nur bei einer falschen Vorstellung in Betracht (BGH NJW95, 190). Für überraschende Klauseln gilt § 305c.
3. Blankounterschrift.
Rn 18
Wird eine Blankounterschrift geleistet und das Blankett abredewidrig ausgefüllt, liegen die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung an sich vor (Erklärungsirrtum). Nach dem Gedanken aus § 172 II ist die Anfechtung ggü einem gutgläubigen Dritten ausgeschlossen (BGHZ 113, 53; NJW 96, 1469).
V. Empfängerirrtum.
Rn 19
Versteht der Empfänger eine Willenserklärung falsch (Angebot), scheidet eine Irrtumsanfechtung dieser Erklärung aus, weil der Empfänger nichts erklärt hat. Gibt der Empfänger eine auf das missverstandene Angebot bezogene (Annahme)Erklärung ab, kann er diese Erklärung grds nach § 119 I Alt 1 anfechten, ausnahmsweise nach § 119 I Alt 2 (BGH NJW 05, 976f [BGH 26.01.2005 - VIII ZR 79/04]).