1. Allgemeines.
Rn 24
Beim Inhaltsirrtum stimmt der äußere Tatbestand der Erklärung mit dem Willen des Erklärenden überein, doch irrt sich dieser über die rechtliche Bedeutung oder Tragweite seiner Erklärung (BGHZ177, 52 Tz 15; BGH NJW 99, 2665 [BGH 26.05.1999 - VIII ZR 141/98]; 17, 1660 [BGH 15.02.2017 - VIII ZR 59/16] Tz 25; BAG NJW 14, 3741 [BAG 24.04.2014 - 8 AZR 429/12] Tz 22). Subjektiv misst der Erklärende seiner Erklärung eine andere Bedeutung zu, als ihr objektiv zukommt. Der Irrtum muss eine Willenserklärung betreffen, nicht die irrtümliche Leistung auf eine nicht bestehende Forderung (BGH NJW-RR 03, 923 [BGH 01.04.2003 - XI ZR 385/02]). Grds kann sich der Irrtum auf alle rechtlich relevanten Elemente der Willenserklärung beziehen. Zur Unterzeichnung ungelesener Urkunden Rn 15 ff.
2. Verlautbarungsirrtum.
Rn 25
Der Erklärende misst dem Erklärungstatbestand eine andere Bedeutung zu, als ihm aus der objektiven Empfängerwahrnehmung zukommt. Dies kommt bei der fehlerhaften Verwendung fach- oder fremdsprachlicher Ausdrücke bzw der Verwechselung von Maß-, Gewichts- und Münzeinheiten in Betracht. Bsp: Verwechselung von Mengen- und Maßeinheiten bei der Bestellung von 25 Gros (= 3600) Rollen Toilettenpapier in der Annahme, 25 große Rollen zu ordern (LG Hanau NJW 79, 721) bzw Verwechselung von Leihe und Miete.
3. Identitätsirrtum.
Rn 26
Hier richtet sich die Erklärung an eine andere bestimmte Person oder auf einen anderen bestimmten Gegenstand, als der Erklärende wollte. Statt Rechtsanwalt R 1 erteilt der Auftraggeber dem namensgleichen Rechtsanwalt R 2 das Mandat. Richtet sich die Erklärung dagegen an die gemeinte Person oder bezieht sie sich auf den gemeinten Gegenstand, besitzen diese jedoch andere Qualitäten, als vom Erklärenden gewünscht, liegt ein Eigenschaftsirrtum vor. Wie vorgestellt wird Rechtsanwalt R 1 beauftragt, doch ist dieser nicht Fachanwalt für Arbeitsrecht, sondern für Familienrecht.
4. Konkretisierung des Geschäfts.
Rn 27
Um einen Inhaltsirrtum handelt es sich auch, wenn der Erklärende über den Vertragstypus (privater Krankenhausaufnahmevertrag ggü gesetzlich versicherter Krankenhausaufnahme LG Köln NJW 88, 1518 [LG Köln 23.09.1987 - 13 S 66/87]) oder die Beschaffenheit eines Rechts irrt (RGZ 95, 115).
5. Rechtsfolgeirrtum.
a) Grundlagen.
Rn 28
Über die Rechtsfolgen irrt sich der Erklärende beachtlich, wenn das Rechtsgeschäft nicht die gewollte, sondern eine davon wesentlich verschiedene andere Rechtsfolge nach sich zieht (RGZ 88, 284; BGHZ 168, 210 Tz 19; BGH NJW 16, 2954 Tz 11). Ein Irrtum über die Rechtsfolgen ist als Inhaltsirrtum beachtlich, wenn die Rechtsfolge (unmittelbarer) Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung geworden ist. Ein Inhaltsirrtum kann auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (BGH NJW 23, 1725 [BGH 22.03.2023 - IV ZB 12/22]). Ein Irrtum über Rechtsfolgen, die nur aufgrund der die Erklärung ergänzenden Umstände eintreten, berechtigt danach nicht zur Anfechtung (MüKo/Armbrüster § 119 Rz 83 f; Staud/Singer § 119 Rz 69 ff; Überblick bei Musielak JZ 14, 64). Als bloßer Motivirrtum ist dagegen der Irrtum über eine sich aus dem Gesetz ergebende Folge unbeachtlich (BGH NJW 02, 3103 [BGH 05.02.2002 - XI ZR 327/01]; 08, 2442 [BGH 05.06.2008 - V ZB 150/07] Tz 15; Neuner AT § 41 Rz 89). Die im Einzelnen oft schwierige Abgrenzung wird von der Rspr auch danach getroffen, ob das Geschäft außer der erstrebten Wirkung andere nicht erkannte und nicht gewollte mittelbare Nebenfolgen bringt, die nicht zur Anfechtung berechtigen (BGH NJW 97, 653 [BGH 29.11.1996 - BLw 16/96]; 06, 3355 [BGH 05.07.2006 - IV ZB 39/05]; BAG NJW 14, 3741 [BAG 24.04.2014 - 8 AZR 429/12] Tz 22; 23, 1725). Übereinstimmende Fehlvorstellungen über die Fortgeltung einer BGH-Rspr sind nicht nach § 119 I, sondern nach § 313 zu behandeln (BGH NJW 13, 1530 [BGH 20.03.2013 - XII ZR 72/11] Tz 18).
b) Anfechtbar.
Rn 29
Ein beachtlicher Inhaltsirrtum liegt vor, falls der Verkäufer irrtümlich annimmt, ein vereinbarter Ausschluss der Rechtsmängelhaftung erfasse auch die Sachmängelhaftung (Brox/Walker AT Rz 423). Ebenso gilt dies bei Löschung der erstrangigen Hypothek in der Annahme, die drittrangige Hypothek rücke auf (RGZ 88, 286); bei erstrangiger Hypothekenbestellung, die an zweiter Stelle erfolgen sollte (RGZ 89, 33f). Bei einer Erbschaftsausschlagung begründet nach Ansicht des BGH der Irrtum über die konkrete Person des Nächstberufenen, unabhängig davon, welche rechtlichen oder tatsächlichen Fehlvorstellungen dem zugrunde lagen, lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum. Dies betrifft etwa die irrige Annahme einer Anwachsung beim verbleibenden Miterben oder einen Irrtum über Inhalt der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Erbrecht. Irrt sich der Ausschlagende bei Abgabe der Ausschlagungserklärung über die nach seinem Wegfall an...