1. Einordnung.
Rn 34
Beim Eigenschaftsirrtum stimmen Wille und Erklärung überein, während die Vorstellung des Erklärenden von der Wirklichkeit abweicht. Da der Irrtum bei der Willensbildung eingetreten ist, handelt es sich um einen ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum (AnwK/Feuerborn § 119 Rz 63), der wie ein Inhaltsirrtum zur Anfechtung berechtigt. Um den Anwendungsbereich von § 119 II zu begrenzen, nimmt die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum einen beachtlichen Irrtum nur an, wenn sich das Rechtsgeschäft auf die Sache oder Person als eine solche mit bestimmten Eigenschaften bezieht (Flume AT II, 477; Petersen AT Rz 770). Die gesetzlich geforderte Verkehrswesentlichkeit wird auf diese Weise unzulässig durch eine Vertragswesentlichkeit substituiert (Bork AT Rz 864).
2. Eigenschaften.
Rn 35
Eigenschaften sind die natürlichen Beschaffenheitsmerkmale sowie die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sowie Beziehungen einer Person oder Sache zur Umwelt, soweit diese nach der Verkehrsanschauung Bedeutung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit besitzen (BGHZ 34, 41; 70, 48; 88, 245). Die Beziehungen zur Umwelt müssen in der Sache oder Person selbst angelegt sein, von ihr ausgehen, sie bezeichnen (BGHZ 70, 48) und nicht nur ganz vorübergehend sein.
3. Verkehrswesentlichkeit.
Rn 36
Allein vom Erklärenden vorgestellte Gesichtspunkte berechtigen nicht zur Anfechtung, denn die Eigenschaft muss im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Dabei ist die Verkehrswesentlichkeit nicht abstrakt, sondern ausgehend vom Inhalt und den Umständen des Rechtsgeschäfts zu bestimmen (BGHZ 88, 246). Lassen sich aus dem Geschäft keine konkreten Anhaltspunkte ableiten, ist allein auf objektive Kriterien abzustellen (s.a. Erman/Arnold § 119 Rz 36).
4. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person.
Rn 37
Vorrangig geht es um Eigenschaften des Erklärungsgegners, ggf eines Dritten oder des Erklärenden (BAG NJW 92, 2174 [BAG 06.02.1992 - 2 AZR 408/91]). Abzustellen ist auf die natürlichen Persönlichkeitsmerkmale sowie solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs Einfluss auf die Wertschätzung der Person im konkreten Rechtsverhältnis ausüben (BAG NJW 91, 2726). Mangelnde Zahlungsfähigkeit des Darlehensnehmers berechtigt grds zur Anfechtung (BayObLG DB 88, 1846 [BayObLG 21.07.1988 - BReg. 3 Z 54/88]; Lindacher MDR 77, 797; zur Ausnahme des § 321s.o. Rn 4). Fehlende Eintragung in die Handwerkerrolle (Hamm NJW-RR 90, 523) bzw fehlende Zuverlässigkeit bei einem auf vertrauenswürdige Zusammenarbeit angelegten Vertrag (BGH WM 69, 292) können zur Anfechtung berechtigen.
Rn 38
Im Arbeitsverhältnis schließen die Antidiskriminierungsregeln grds eine Anfechtung wegen eines Irrtums über die sexuelle Identität aus (EuGH NZA 96, 695; aber BAG NJW 91, 2726 [BAG 21.02.1991 - 2 AZR 449/90]). Die Schwangerschaft einer ArbN berechtigt aufgrund des Verbots mittelbarer geschlechtsbezogener Diskriminierung nicht zur Anfechtung (BAG NJW 89, 930 [BAG 08.09.1988 - 2 AZR 102/88], vorübergehender Zustand), die anerkannte Ausnahme für befristete Arbeitsverhältnisse erscheint kaum europarechtskonform (ErfK/Preis BGB § 611a Rz 352). Der Gesundheitszustand ist verkehrswesentliche Eigenschaft, soweit einem ArbN nicht nur vorübergehend die Fähigkeit zur Verrichtung der geschuldeten Leistung fehlt (BAG DB 74, 1531 [BAG 28.03.1974 - 2 AZR 92/73]). Entspr gilt bei der Schwerbehinderteneigenschaft. Einschlägige Vorstrafen, die eine Eignung des ArbN für den konkreten Arbeitsplatz ausschließen, bilden verkehrswesentliche Eigenschaften (ErfK/Preis BGB § 611a Rz 354), ebenso die Mitgliedschaft in der Scientology-Sekte bei Personalberatern (LG Darmstadt NJW 99, 365) sowie bei Ausbildungstätigkeiten. Eine auf arglistige Täuschung gestützte Anfechtung kann die Irrtumsanfechtung einschließen (BAG NJW 13, 1115 [BAG 06.09.2012 - 2 AZR 270/11] Tz 38).
5. Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache.
Rn 39
Als Sachen iSv § 119 II gelten nicht nur körperliche Gegenstände gem § 90, sondern auch Sachgesamtheiten und unkörperliche Gegenstände (Rechte). Zu beachten ist die Konkurrenz mit den Gewährleistungsregeln (Rn 5). Eigenschaften (dazu oben Rn 34) sind die wertbildenden Faktoren, nicht aber der Wert oder Preis eines Gegenstands als solcher (BGHZ 16, 57).
Rn 40
Wesentliche Eigenschaften sind – nach Maßgabe des Rechtsgeschäfts – Grenzen, Umfang, Lage, Bebaubarkeit und gewerbliche Nutzbarkeit eines Grundstücks (BGHZ 34, 41), Urheberschaft und Echtheit eines Kunstwerks (BGH NJW 88, 2599) bzw Fehlen dieser Qualitäten bei Flohmarktverkauf (Notenhefte Mozarts, aA AG Coburg NJW 93, 939 [AG Coburg 24.04.1992 - 14 C 1485/91]), Baujahr (BGH NJW 79, 161 [BGH 26.10.1978 - VII ZR 202/76]) und Fahrleistung eines Pkw (München DB 74, 1060 [OLG München 26.04.1974 - 19 U 4324/73]) sowie Alter und Stammbaum eines Pferds (Hamm NJW 19, 3387 [OLG Hamm 04.04.2019 - 5 U 40/18]). Umstr ist, ob Umsatz und Ertrag eines Unternehmens als Eigenschaften anzusehen sind (abl BGH NJW 70, 655; zum Grundstück RGZ 149, 138; differenzierend MüKo/Armbrüster § 119 Rz 141; Putzo...