I. Grundsatz.
Rn 27
In der Spannungslage zwischen der Ordnungsaufgabe des Formzwangs und der Einzelfallgerechtigkeit kann ausnahmsweise eine Korrektur der Formnichtigkeit mittels § 242 erfolgen (Hagen DNotZ 10, 644, 648). Billigkeitserwägungen genügen nicht (BGH NJW 93, 1128; 96, 1469), ein Ausnahmefall unterliegt strengen Anforderungen (BGHZ 92, 172). Die Formnichtigkeit muss einen Vertragsteil nicht nur hart treffen, sondern für ihn schlechthin untragbar sein (BGHZ 138, 348; BGH NJW 08, 2181 Tz 28). Dies liegt noch nicht bei einer mehrfachen mündlichen Eigenkündigung vor (Hamm NZA-RR 18, 76 [LAG Hamm 28.04.2017 - 1 Sa 1524/16]). Dazu muss ein Interessenausgleich geboten, jedoch mit anderen Mitteln nicht zu erzielen sein (BGH NJW 84, 607 [BGH 04.10.1983 - VI ZR 44/82]), zB mangels hinreichender Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche (s.a. Rn 29).
II. Voraussetzungen.
Rn 28
Die zum Hoferbenrecht (BGHZ 12, 304; 23, 254; BGHZ 119, 389) und zu § 311b I entwickelte Ausnahme (BGHZ 29, 10; 48, 398), ist bei anderen Formbestimmungen anwendbar, etwa § 550 (BGH NJW-RR 86, 944), § 766 (BGHZ 26, 151), § 15 IV GmbHG (BGHZ 35, 277; BGH VersR 17, 240) und beim Prozessvergleich (BAG NJW 70, 349). Erforderlich ist ein sonst wirksames Rechtsgeschäft (BGHZ 45, 183). Durchzuführen ist eine einzelfallbezogene Gesamtbeurteilung (Armbrüster NJW 07, 3317, 3320). Eine schutzwürdige Situation kann fehlen, wenn beide Parteien den Formmangel kannten (BGH NJW 73, 1456 [BGH 22.06.1973 - V ZR 146/71]), auch wenn eine besondere Erfüllungszusicherung gegeben wurde (RGZ 117, 124, Edelmannswort; Medicus/Petersen BR, Rz 181; aA BGHZ 48, 399), doch kommt ein Arglisteinwand in Betracht. Bei beidseitig gesetzwidrigem Verhalten wird § 125 nicht durchbrochen (BGH NJW 80, 451 [BGH 26.10.1979 - V ZR 88/77], Schwarzkauf).
III. Fallgruppen.
1. Arglistige Täuschung.
Rn 29
Hat eine Partei die andere Partei über die Formanforderungen des Rechtsgeschäfts getäuscht, reichen die auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzansprüche aus §§ 280 I, 311 II, 241 II bzw unerlaubter Handlung nicht aus. Eine lediglich schuldhafte Verursachung genügt nicht (BGH NJW 69, 1170), erst recht nicht eine schuldlose Herbeiführung (BGH NJW 77, 2072 [BGH 10.06.1977 - V ZR 99/75]). Erforderlich ist eine qualifizierte Verantwortung (BGH NJW 69, 1170 [BGH 21.03.1969 - V ZR 87/67]; aA BGH DNotZ 73, 18).
2. Besonders schwere Treuepflichtverletzung.
Rn 30
Bei gesteigerten Rücksichtnahmepflichten kann die Berufung auf § 125 ausgeschlossen sein, so bei der Überlegenheit einer Partei, wie bei formnichtigem Vertrag zwischen Siedlungsträger und Siedler (BGHZ 16, 337; 20, 173), gemeinnütziger Wohnungsbaugesellschaft und Eigenheimbewerber (BGH NJW 72, 1189), nicht im sozialen Wohnungsbau (BGH NJW 69, 1169). Eine Durchbrechung ist ggü einer Kommune geboten, die sich in zahlreichen Vergleichsfällen nicht auf die Formnichtigkeit berufen hat (BGHZ 92, 172), insb nach längerem Zeitablauf. Da der Formzwang nicht einen Beauftragten schützen soll, kann beim Erwerb aus Mitteln des Auftraggebers eine Berufung auf die Formnichtigkeit ausgeschlossen sein (BGHZ 85, 251 f; 127, 175), anders bei einem Erwerb des Beauftragten im eigenen Namen (BGH NJW 96, 1961). Treuewidrig handelt, wer längere Zeit aus einem wichtigen Vertrag Vorteile gezogen hat und sich nun der eigenen Verpflichtung unter Berufung auf die Formnichtigkeit entziehen will (BGH NJW 93, 1128; 96, 1469; 2504; VersR 17, 232, zahnärztlicher Behandlungsvertrag; zur Unterverbriefung BGHZ 85, 319). Ein geringes Gewicht des Formverstoßes (Armbrüster NJW 07, 3317, 3319f) wird schwerlich feststellbar sein.
3. Existenzgefährdung.
Rn 31
Der Formmangel ist auch unbeachtlich, wenn die Nichtigkeit des Vertrags die Existenz des einen Teils gefährdet (BGH NJW 72, 1189 [BGH 21.04.1972 - V ZR 42/70]; 96, 2504 [BGH 19.06.1996 - VIII ZR 117/95]). Meist wird dabei eine Überschneidung mit den anderen Fallgruppen vorliegen.