I. Abgabe.
Rn 6
Zuvorderst muss die Erklärung vom Erklärenden willentlich nach außen erkennbar gemacht werden, wobei an ihrer Endgültigkeit keine vernünftigen Zweifel bestehen dürfen (Wolf AT § 33 Rz 2). Dies unterscheidet die Willenserklärung von Entwürfen oder Informationen (BGH DNotZ 83, 624f). Zur Abgabe einer nicht empfangsbedürftigen Erklärung muss nur dieser Erklärungsvorgang, die Entäußerung, vollendet sein. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist erst abgegeben, wenn sie entäußert und vom Erklärenden willentlich so in Richtung auf den Empfänger in Bewegung gesetzt ist, dass er mit einem Empfang beim Adressaten rechnet und rechnen darf (BGHZ 65, 14 f; BGH NJW 79, 2033; WM 83, 712; NJW-RR 03, 384; bei einer E-Mail muss der endgültige Sendebefehl erteilt sein, Ultsch NJW 97, 3007), anders wenn sie einem Dritten ggü abgegeben wird, der weder Empfangsvertreter noch Empfangsbote ist. Dazu muss die Erklärung auch an den Empfänger gerichtet sein (BGH NJW 89, 1671f [BGH 28.02.1989 - XI ZR 80/88]).
Rn 7
Ist das Inverkehrbringen der Erklärung dem Erklärenden nicht zurechenbar, liegt keine Willenserklärung vor (MüKo/Einsele § 130 Rz 14). Gelangt die Erklärung zwar nicht willentlich, aber in einer dem Erklärenden zuzurechnenden Weise in den Verkehr (abhandengekommene Willenserklärung), liegt eine dem fehlenden Erklärungsbewusstsein (Vor §§ 116 ff Rn 27) rechtsähnliche Gestaltung vor (Medicus/Petersen AT Rz 266f). Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt muss der Erklärende erkennen und vermeiden können, dass seine Erklärung in Richtung auf den Empfänger in den Verkehr gebracht wird (BeckOK/Wendtland § 130 Rz 6). Die Willenserklärung ist dann analog § 119 I anfechtbar, doch verpflichtet die Anfechtung entspr § 122 zur Schadensersatzleistung (§ 122 Rn 3; AnwK/Faust § 130 Rz 9; Erman/Arnold § 130 Rz 4; aA Bork AT Rz 615).
II. Zugang.
1. Grundlagen.
Rn 8
Eine empfangsbedürftige Willenserklärung wird erst mit Zugang beim abwesenden Empfänger wirksam. Zugegangen ist die verkörperte Erklärung sobald sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht und unter gewöhnlichen Verhältnissen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist (BGHZ 67, 275; 137, 205, 208; NJW 04, 1320; NZI 15, 376; BAG NJW 93, 1093; 19, 3666 Tz 12; NZA 15, 1183 Tz 37; BSG NJW 05, 1304 [BSG 07.10.2004 - B 3 KR 14/04 R]; aA Flume AT 230 ff). Ziel ist eine angemessene Risikoverteilung. Der Absender trägt das Versendungs- und Transportrisiko. Nach Eingang in seinen Machtbereich trägt der Empfänger die aus seiner Sphäre stammenden Risiken. Erfolgt die Kenntnisnahme zuvor, ist die Erklärung damit zugegangen (Neuner AT § 33 Rz 18). Eine formbedürftige Erklärung muss in der vorgeschriebenen Form zugehen. Beim gesetzlichen Schriftformerfordernis genügt eine – auch beglaubigte – Kopie nicht (BGH NJW 97, 3170 [BGH 30.07.1997 - VIII ZR 244/96]).
Rn 9
Der va räumlich verstandene Machtbereich umfasst die Wohnung bzw Geschäftsräume, aber auch besondere Empfangseinrichtungen, wie den Hausbriefkasten (BGH NJW 79, 2033 [BGH 12.06.1979 - VI ZR 212/77]; BAG NZA 15, 1183 [BAG 26.03.2015 - 2 AZR 483/14] Tz 37; nicht Lagerbriefkasten des Erklärenden, München BeckRS 15, 15128), ein Postfach (Celle NJW 74, 1386 [OLG Celle 09.04.1974 - 11 U 156/73]) oder einen Anrufbeantworter. Ausreichend soll die in eine nicht einsehbare Tür eines Einfamilienhauses geklemmte Erklärung sein (LAG Hamm MDR 93, 658). Ein allg zugänglicher Hausflur genügt nicht (aA LAG Düsseldorf MDR 01, 145 [LAG Düsseldorf 19.09.2000 - 16 Sa 925/00], für Einwurf in Briefschlitz eines Mehrfamilienhauses). Va bei der Telekommunikation ist die lokale Sicht des Machtbereichs durch ein funktionales Verständnis zu ergänzen, vgl Rn 14. Unzureichend ist, wenn die einzige Ausfertigung einer schriftlichen Kündigungserklärung dem ArbN lediglich kurz zur Empfangsquittierung und anschließender Rückgabe an den ArbG übergeben wird (Ddorf NZA-RR 18, 653).
Rn 10
Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand und ob diese zu erwarten war, ist nach den üblichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs zu beurteilen (BAG NJW 19, 3666 [BAG 22.08.2019 - 2 AZR 111/19] Tz 12). Technische Einrichtungen (Mailbox) müssen dem Empfang gewidmet sein. Dafür ist auf die gewöhnliche Leerung des Hausbriefkastens bzw die Geschäftszeiten oder üblichen Bürostunden abzustellen. Wegen der erforderlichen Verkehrssicherheit bedarf es hier einer überregionalen, verallgemeinernden Beurteilung (vgl Rn 11). Individuelle Umstände, wie eine freiwillige (Urlaub) oder unfreiwillige (Krankheit, Haft, LAG Schleswig-Holstein BeckRS 14, 68047) Ortsabwesenheit des Empfängers, sind grds unerheblich (BGH NJW 04, 1320 [BGH 21.01.2004 - XII ZR 214/00]; BAG NJW 93, 1093 f [BAG 11.11.1992 - 2 AZR 328/92]; 18, 2916 Tz 15). Dies gilt selbst dann, wenn dem Absender die Abwesenheit und die geänderte Anschrift bekannt sind (BAG NJW 89, 607 [BAG 16.03.1988 - 7 AZR 587/87]; BeckRS 12, 72009 Tz 21, urlaubsbedingte Ortsabwesenheit), da sonst da...