Gesetzestext
Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
A. Normzweck.
Rn 1
Die Auslegung einer Willenserklärung soll den rechtlich maßgebenden Sinn der Erklärung ermitteln (BGH FamRZ 87, 476; BeckOK/Wendtland § 133 Rz 17). Ihre Aufgabe erstreckt sich auf die Vorfrage, ob ein Verhalten den Tatbestand einer Willenserklärung erfüllt (BGH NJW 86, 3132), insb ob ein Rechtsbindungswille besteht (BGHZ 21, 106f). Hauptsächlich ist der Inhalt mehrdeutiger oder lückenhafter Willenserklärungen zu bestimmen (Bork AT Rz 497). Die Funktion der Willenserklärung als Mittel, einen privaten Willen zu verwirklichen, und der Wortlaut des § 133 legen nahe, dass mit der Auslegung der Wille festgestellt werden soll. Da der Wille in irgendeiner Weise nach außen erkennbar und damit verkörpert sein muss (BGHZ 47, 78), kann der reine Wille weder Gegenstand noch recht verstandenes Ziel der Auslegung sein (Schiemann Eckpfeiler des Zivilrechts, D 41). Bezugspunkt der Auslegung ist das menschliche Verhalten bzw die Erklärung.
B. Bedeutung.
I. § 157.
Rn 2
Der sachliche Gehalt und das Verhältnis der §§ 133, 157 zueinander sind umstr (Staud/Singer § 133 Rz 4 mwN). Nach der gesetzlichen Formulierung ist gem § 133 für die Auslegung von Willenserklärungen auf den wirklichen Willen und bei der Auslegung von Verträgen laut § 157 auf Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte abzustellen. Diese Unterscheidung wird allg als verfehlt angesehen (Erman/Arnold § 133 Rz 6). Einerseits sind die Kriterien des § 133 auch für die Auslegung von Verträgen heranzuziehen, da diese auf übereinstimmenden Willenserklärungen beruhen (MüKo/Busche § 133 Rz 18). Andererseits sind die Wertungen des § 157 auch für die Auslegung von Willenserklärungen beachtlich (BGHZ 21, 328). Die §§ 133, 157 sind deshalb bei der Auslegung von Willenserklärungen nebeneinander (BGHZ 47, 78; 105, 27; AnwK/Looschelders Rz 2), wenn auch nicht unterschiedslos anzuwenden.
Rn 3
Überwiegend wird auf die Unterscheidung zwischen nicht empfangsbedürftigen und empfangsbedürftigen Willenserklärungen abgestellt. § 133 soll nur bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen maßgebend sein, während § 157 auch auf empfangsbedürftige Willenserklärungen angewendet wird (Medicus/Petersen AT Rz 322f). Allerdings werden Durchbrechungen für erforderlich gehalten (Rn 19). Außerdem wird die Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte, zB eines Testaments, von der Andeutungstheorie (dazu Rn 9) durch die Einhaltung der Form begrenzt (vgl Schiemann Eckpfeiler des Zivilrechts, D 43).
II. § 242.
Rn 4
Zunächst ist im Wege der Auslegung das rechtliche Wollen zu klären. Lassen sich daraus keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Streitentscheidung gewinnen, ist gem § 242 das rechtliche Sollen zu klären (BGHZ 16, 8).
III. § 139.
Rn 5
Bei Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ist vorrangig im Wege der Auslegung zu klären, ob die Parteien für diesen Fall eine Vereinbarung getroffen haben. Ohne besondere Abrede ist nach der Auslegungsregel des § 139 im Zweifel von der Gesamtnichtigkeit auszugehen.
IV. § 140.
Rn 6
Erst wenn, ggf nach Auslegung, die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts feststeht, ist eine Konversion möglich. Die Umdeutung bildet keinen Unterfall der Auslegung, denn während die Auslegung der Ermittlung des realen Willens dient, stellt die Umdeutung auf einen hypothetischen Willen ab (BGHZ 19, 273; § 140 Rn 2).
V. § 2084.
Rn 7
Die Auslegung letztwilliger Verfügungen richtet sich primär nach § 133 und wird durch § 2084 ergänzt (MüKo/Busche § 133 Rz 24).
C. Anwendungsbereich.
Rn 8
Die §§ 133, 157 gelten für die Auslegung aller Willenserklärungen, auch für abstrakte Geschäfte (BGHZ 21, 161, Wechsel; BGH NJW-RR 96, 1458, Schuldversprechen; Ddorf NJW 07, 1291, Erbvertrag durch Prozessvergleich). Sie betreffen das Ob und das Wie einer Willenserklärung (Rn 1). Einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste (BGH NJW 15, 934 [BGH 17.12.2014 - VIII ZR 88/13] Tz 35). Der Inhalt elektronischer Willenserklärungen ist nicht so zu bestimmen, wie sie das System verarbeitet, sondern wie sie der menschliche Adressat nach den allg Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 zu verstehen hat (BGHZ 195, 126 Tz 17). Für das Schweigen als Auslegungsgegenstand gelten die gleichen Grundsätze wie für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen (BeckOK/Wendtland § 133 Rz 29).
Rn 9
Auslegungsfähig sind auch formbedürftige Willenserklärungen. Die in der älteren Rspr vertretene Andeutungstheorie verlangt, dass der Wille wenigstens andeutungsweise in der formgerechten Urkunde zum Ausdruck gekommen sein müsse (RGZ 59, 219; 160, 111; BGHZ 80, 245; BGH NJW 00, 1570; BAG NJW 07, 250 Tz 23), doch werden dadurch Auslegungsergebnis und Formgültigkeit vermengt (AnwK/Looschelders Rz 74). Formvorschriften beschränken nicht die für die Auslegung von Willenserklärungen zu berücksichtigenden Umstände (BAG NJW 07, 322...