1. Grundsätze.
Rn 16
Auslegungsziele und Auslegungsmethoden sind zu unterscheiden (Staud/Singer § 133 Rz 2). Als Ziel der Auslegung nennt § 133 den wirklichen Willen. Der Rechtsbegriff des wirklichen Willens darf nicht mit der psychischen Tatsache des inneren Willens gleichgesetzt werden. Ein innerer, in keiner Weise nach außen gedrungener Wille kann keine Bindungswirkung entfalten (Soergel/Hefermehl Rz 1; Schiemann Eckpfeiler des Zivilrechts, D 41). Bezugsgröße der empirischen bzw natürlichen Auslegung ist, wie der Erklärende seine Verlautbarung verstanden hat. Wurde die Erklärung vom Empfänger abw aufgefasst, ist iRe normativen Auslegung zu klären, in welcher Weise der Adressat die Erklärung bei Beachtung der verkehrsüblichen Auslegung verstehen durfte (Wieser JZ 85, 407). Die Auslegungsmethoden betreffen sodann das Verfahren der Auslegung (Rn 31 ff).
Rn 17
Vorrangig ist von der auf den wirklichen Willen des Erklärenden bezogenen empirischen Auslegung auszugehen, weil diese am striktesten auf eine selbstbestimmte Gestaltung abzielt (BGH NJW 84, 721 [BGH 26.10.1983 - IVa ZR 80/82]). Diese einseitige Ausrichtung ist dort berechtigt, wo keine schutzwürdigen Interessen des Empfängers entgegenstehen. Ihr Anwendungsbereich konzentriert sich auf die nicht empfangsbedürftigen sowie die übereinstimmend verstandenen empfangsbedürftigen Willenserklärungen.
2. Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen.
Rn 18
Manche Typen nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen betreffen allein die Interessen des Erklärenden. Das Hauptbeispiel bildet das Testament, das nach dem wirklichen Willen des Erblassers auszulegen ist (BGHZ 80, 249; 86, 45). Um den Erblasserwillen zu ermitteln, sind sämtliche Begleitumstände unabhängig davon heranzuziehen, ob sie in der Testamentsurkunde einen Niederschlag gefunden haben (BGHZ 86, 46f). Erst wenn sein Wille feststeht, darf geprüft werden, ob er formgültig niedergelegt wurde (Rn 9).
Rn 19
Bei sonstigen nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen können schutzwürdige Interessen anderer nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Bei den an die Öffentlichkeit gerichteten Erklärungen, speziell der Auslobung, ist auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers auf Grundlage der allg erkennbaren Umstände abzustellen (BGHZ 17, 371; 53, 304, 307; AnwK/Looschelders Rz 40).
3. Übereinstimmender Wille.
Rn 20
Erkennt der Empfänger den wirklichen Willen des Erklärenden, ist er nicht schutzbedürftig. Der Adressat muss sich also sein individuelles Verständnis zurechnen lassen. Der wirkliche Wille des Erklärenden und nicht der Wortlaut bestimmt dann den Inhalt des Rechtsgeschäfts (BGH NJW 84, 721 [BGH 26.10.1983 - IVa ZR 80/82]; NJW-RR 93, 373 [BGH 20.11.1992 - V ZR 122/91]; Neuner AT § 35 Rz 28). Nicht erforderlich ist, dass sich der Empfänger den Willen zu eigen macht (BGH NJW 02, 1039 [BGH 07.12.2001 - V ZR 65/01]).
Rn 21
Haben die Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend verstanden, geht der wirkliche Wille des Erklärenden dem Wortlaut oder jeder anderen Auslegung vor (BGHZ 71, 247; BGH NJW 96, 1679; 98, 747; 02, 1039; NJW-RR 18, 822). Das Hauptanwendungsgebiet liegt beider versehentlichen Falschbezeichnung und wird durch die Parömie falsa demonstratio non nocet bezeichnet (BGH NJW 08, 1658 Tz 12). Im Schulfall (RGZ 99, 148) schlossen die Parteien einen Kaufvertrag über Haakjöringsköd, der norwegischen Bezeichnung für Haifischfleisch. Da die Parteien übereinstimmend Walfischfleisch meinten und sich im Ausdruck irrten, kam der Vertrag über Walfischfleisch zustande. Übereinstimmende Falschbezeichnungen sind unschädlich (BGHZ 20, 110). Diese Regel gilt auch bei der Auflassung (BGH NJW 02, 1039), dem In-Sich-Geschäft (BGH NJW 91, 1731), der Auslegung von AGB (BGHZ 113, 259; BGH NJW 83, 2638) und ggf bei der Auslegung von Wechseln (Köln NJW-RR 97, 940; Staud/Singer § 133 Rz 14). Bei formbedürftigen Rechtsgeschäften sind nur versehentliche Falschbezeichnungen unschädlich (RGZ 133, 281; s.a. BGHZ 74, 119; BGH NJW 23, 2941; zur unrichtigen Erwerberbezeichnung bei Auflassung Reymann NJW 08, 1775). Das Vereinbarte muss keinen Niederschlag in der Urkunde gefunden haben (BGH NJW 08, 1659 [BGH 18.01.2008 - V ZR 174/06] Tz 13). Absichtliche Falschbeurkundungen verstoßen gegen die Formzwecke und sind unwirksam (Medicus/Petersen AT Rz 330).