1. Rechtsgeschäft.
Rn 25
Weist ein gültiges Rechtsgeschäft in einem regelungsbedürftigen Punkt eine planwidrige Regelungslücke auf, kann die Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden (BGHZ 9, 277 f; 77, 304; GRUR 20, 57 Tz 26). Erforderlich ist ein wirksames Rechtsgeschäft, nicht eine einzelne Willenserklärung (BGH NJW 09, 2443 Tz 19). Ein Einigungsmangel über den Kaufpreis kann nicht durch ergänzende Vertragsauslegung überwunden werden (BGH NJW-RR 06, 1141). Es kann sich um ein formbedürftiges Rechtsgeschäft (BGHZ 81, 143), ein Testament (BGHZ 22, 360) oder die Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft handeln (BGH NJW 04, 3416). Bei einem vorvertraglichen Schuldverhältnis kann durch ergänzende Vertragsauslegung ein Haftungsausschluss begründet werden (BGHNJW 79, 643; 80, 1682, Probefahrt), bei AGB, wenn die Lücke nicht durch Gesetzesrecht geschlossen werden kann und sonst ein nicht mehr vertretbares, völlig einseitiges Ergebnis zur Folge hätte (BGHZ 192, 372, Preisanpassungsklausel bei Energielieferung t-3-Rechtsprechung; NJW 15, 1167 Tz 23 ff; 16, 1718 Tz 66 ff; 16, 3589; 16, 3593). Der angepasste Preis ersetzt dauerhaft den Anfangspreis (BGH NJW 15, 2566 [BGH 15.04.2015 - VIII ZR 59/14]). Unwirksame Zinsanpassungsklauseln eines Sparvertrags sollen nach der Rspr des BGH durch ergänzende Vertragsauslegung ersetzt werden können (BGH NJW-RR 17, 942 [BGH 14.03.2017 - XI ZR 508/15]), doch kollidiert dies mit der Judikatur des EuGH (EuGH NZM 18, 1029; v. Westphalen MDR 19, 76, 78). Eine ergänzende Vertragsauslegung unwirksamer AGB ist unionsrechtlich unzulässig (Fervers/Gsell NJW 19, 2569). Im Verbandsprozess nach § 1 UKlaG ist eine ergänzende Vertragsauslegung ausgeschlossen (BGH NJW 97, 1054 Tz 39).
2. Regelungslücke.
Rn 26
Das Rechtsgeschäft muss in einem regelungsbedürftigen Punkt eine Regelungslücke, dh eine planwidrige Unvollständigkeit aufweisen, die nicht durch das dispositive Recht geschlossen werden kann (BGHZ 77, 304; 125, 17; 127, 142; BGH NJW 02, 2310; NJW-RR 05, 690). Der Vertrag muss innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig sein (BGHZ 77, 304; NJW 12, 844 Tz 24). Ohne Vervollständigung darf keine angemessene, interessengerechte Lösung zu erzielen sein (BGH NJW 14, 1521 [BGH 12.02.2014 - XII ZR 76/13] Tz 17; 15, 1167 Tz 24; GRUR 20, 57 Tz 26), wenn etwa das Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten einer Seite verschoben wird (BGH NJW 14, 1877 [BGH 15.01.2014 - VIII ZR 80/13] Tz 20). Eine planwidrige Regelungslücke kann nur angenommen werden, wenn die Parteien mit den getroffenen Regelungen ein bestimmtes Ziel erreichen wollten, dies wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten aber nicht gelungen ist. Hingegen darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht herangezogen werden, um einem Vertrag aus Billigkeitsgründen einen zusätzlichen Regelungsgehalt zu verschaffen, den die Parteien objektiv nicht vereinbaren wollten (BGH GRUR 20, 57 Tz 26). Unerheblich ist, aus welchem Grund der Punkt offengeblieben ist. Die Lücke kann anfänglich bestanden oder sich nachträglich ergeben haben (BGH NJW 81, 220 [BGH 19.06.1980 - III ZR 182/78]; 16, 1718 [BGH 28.10.2015 - VIII ZR 158/11] Tz 67). Die Parteien können den Aspekt übersehen oder bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht für regelungsbedürftig hielten (BGH NJW 02, 1262 [BGH 13.12.2001 - VII ZR 27/00]; NJW-RR 05, 690 [BGH 25.11.2004 - I ZR 49/02]) bzw davon ausgegangen sind, dass diese Regelung noch getroffen werden wird und diese Annahme sich nachträglich als unzutreffend herausstellt (BGH GRUR 20, 57 Tz 26). Die Lücke kann durch Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung entstanden sein (BGHZ 90, 74; 137, 157; BGH NJW 12, 1865 Tz 19, unwirksame Preisanpassungsklausel). Sollte die Regelung abschließend sein, liegt keine Regelungslücke vor (BGHZ 94, 113; BGH NJW 90, 1724). Bei einer mietvertraglichen Konkurrenzschutzklausel vor anderen Optik- und Hörgerätegeschäften besteht keine Lücke ggü der Abgabe von Hörgeräten im verkürzten Versorgungsweg (NJW 12, 844 [BGH 11.01.2012 - XII ZR 40/10] Tz 25 ff).
3. Lückenfüllung.
Rn 27
Bei der Schließung einer vertraglichen Lücke ist darauf abzustellen, was von den Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart worden wäre, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten. Dabei ist zunächst an den Vertrag selbst anzuknüpfen (BGH GRUR 20, 57 [BGH 17.10.2019 - I ZR 34/18] Tz 37). Um den Vorrang der Privatautonomie zu wahren, ist der Vertrag primär auf Grundlage des hypothetischen Parteiwillens und sekundär durch das dispositive Gesetzesrecht zu ergänzen. Dies gilt, soweit eine Heranziehung des dispositiven Rechts dem Willen der Vertragsparteien widerspricht (BGH NJW 75, 1117 [BGH 06.03.1975 - II ZR 80/73]), wenn es regelmäßig abbedungen wird (BGH NJW 79, 1705), falls das dispositive Recht keine passende Regelung enthält oder der gewählte Vertrag gesetzlich...