I. Grundlagen.
Rn 30
Mitunter versuchen die Parteien einen vergleichbaren wirtschaftlichen Erfolg, wie in einem missbilligten Geschäft, mit anderen rechtlichen Mitteln zu erreichen, ohne den Tatbestand der Verbotsnorm zu verwirklichen. Lassen sich die Ziele auf anderem Weg erreichen, sind solche Geschäfte iRd rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit zulässig. Der Einsatz anderer Gestaltungsformen sagt nichts über ihre rechtliche Würdigung aus (Bork AT Rz 1121). Soll durch die Umgehung missbilligter rechtlicher Gestaltungen ein vom Gesetz verbotener Erfolg erreicht werden, liegt ein unzulässiges Umgehungsgeschäft vor (RGZ 155, 146; BGH NJW 59, 334 [BGH 03.11.1958 - III ZR 139/57]; 91, 1060 [BGH 06.12.1990 - IX ZR 44/90]; Staud/Sack/Seibl § 134 Rz 145). Kenntnis oder Absicht der Gesetzesumgehung ist nicht erforderlich (BGHZ 56, 289, 110, 234; BAG NJW 99, 2541 [BAG 10.02.1999 - 2 AZR 422/98]; AnwK/Looschelders Rz 83; Teichmann JZ 03, 764).
Rn 31
Manche Vorschriften ordnen die Unwirksamkeit von Umgehungsgeschäften ausdrücklich an, §§ 306a, 312k I 2, 476 I 2, 487 2, 512 2, 655e I 2 sowie §§ 42 AO, 8 FernUSG, 75d 2 HGB. Das kann aber nicht dazu führen, alle rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht vom Gesetzeswortlaut erfasst sind und bei denen die typische Situation nicht gegeben ist, auf die das Gesetz abstellt, dem Verbot zu unterstellen. Ein positives Umgehungsverbot enthält daher die Aufforderung des Gesetzgebers, bei der Anwendung des Gesetzes nicht zurückhaltend zu verfahren, sondern sich – extensiv – am Gesetzeszweck zu orientieren (BGHZ 113, 289; s.a. Teichmann JZ 03, 767).
Rn 32
Die rechtliche Begründung ist umstr. Vereinzelt wird ein selbstständiges Rechtsinstitut angenommen (MüKo/Mayer-Maly/Armbrüster Rz 16, bis zur 4. Aufl; aA Bork AT Rz 1121), doch ist ein solches Rechtsinstitut mit zusätzlichen subjektiven Anforderungen abzulehnen. Teilw wird im Umgehungsgeschäft ein Verstoß gegen die guten Sitten gesehen (Staud/Sack/Seibl § 134 Rz 153), doch ist nicht jeder Gesetzesverstoß sittenwidrig. Maßgebend ist eine teleologische Auslegung bzw entspr Anwendung der Verbotsnorm (BGHZ 110, 64; Soergel/Hefermehl Rz 37; Jauernig/Mansel § 134 Rz 18). Es ist die im Einzelfall schwierige Feststellung zu treffen, ob die Verbotsnorm das Rechtsgeschäft wegen des angestrebten Erfolgs unabhängig vom konkret beschrittenen Weg verbietet (Erman/Arnold Rz 24; BaRoth/Wendtland Rz 20).
II. Beispiele für Umgehungsgeschäfte.
Rn 33
Arbeitsrecht: Aufhebungsverträge sind nicht wegen Umgehung von § 613a nichtig, wenn sie auf das endgültige Ausscheiden des ArbN aus dem Betrieb gerichtet sind (BAG NZA 99, 424 [BAG 10.12.1998 - 8 AZR 324/97]). Eine Umgehung der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften über den Kündigungsschutz, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer begründet keine Nichtigkeit des Vertrags. Diese Bestimmungen sind unabhängig von einer möglichen Umgehungsabsicht der Vertragspartner beim Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags anzuwenden, wenn die in ihnen niedergelegten Voraussetzungen erfüllt sind (MDR 18, 1506 [BGH 11.10.2018 - VII ZR 298/17]). Finanzierungsleasingverträge beim Erwerb eines Kfz (BGH NJW 06, 1066 [BGH 21.12.2005 - VIII ZR 85/05] Tz 12) bzw Agenturgeschäfte im Gebrauchtwagenhandel sind keine unzulässigen Umgehungsgeschäfte der §§ 474 ff (BGH NJW 07, 759 [BGH 22.11.2006 - VIII ZR 72/06] Tz 15f). Die Abrede über eine verdeckte Sacheinlage kann im Gesellschaftsrecht eine Umgehung der auf Publizität und Wertdeckungskontrolle zielenden Vorschriften darstellen (BGHZ 125, 149 ff; BGH NJW 96, 1287). Ein Gesellschaftsvertrag über den Betrieb einer Spielhalle stellt kein Umgehungsgeschäft dar (BGH NJW-RR 03, 1116 [BGH 05.05.2003 - II ZR 112/01]). Nichtig sind Geschäfte, mit denen das Erfordernis einer Gewerbeerlaubnis, insb die gaststättenrechtliche Konzessionspflicht, zB durch einen Anstellungsvertrag, umgangen werden soll (Hamm NJW 86, 2440 [OLG Hamm 22.05.1986 - 2 U 277/85]; Stuttg NJW 87, 3270 [BGH 20.07.1987 - AnwSt R 2/87]). Das Verbot von Rechtsgeschäften zwischen Heimbewohnern und Heimleitung oder-personal aus § 14 HeimG wird bei einer Erbeinsetzung zugunsten eines Angehörigen des Verbotsadressaten unzulässig umgangen (BayObLG NJW 00, 1876 [BayObLG 09.02.2000 - 1 Z BR 149/99]; Frankf NJW 01, 1504 [BGH 08.02.2001 - III ZR 45/00]; s.a. Rn 47). Die Vereinbarung über ein Mieterdarlehen, das auch nach vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses zinslos gewährt und mit 2 % getilgt wird, ist wegen Umgehung von § 547 unwirksam (BGHZ 56, 289). Ein gemeindliches Vorkaufsrecht kann nicht wirksam durch die Begründung eines Nießbrauchs umgangen werden (BGHZ 34, 205). Eine Vollmachtsklausel in Versicherungsbedingungen soll eine Umgehung des Rechts der freien Anwaltswahl darstellen können (AG Ebersberg NJW 14, 1461).