I. Grundlagen.
Rn 51
Der Wuchertatbestand aus § 138 II bildet einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit (BGHZ 125, 137). Liegen die Voraussetzungen von II vor, wird die Generalklausel aus I verdrängt (RGZ 72, 69; 93, 28f). Wird der Wuchertatbestand nicht vollständig erfüllt, ist ein Verstoß des Rechtsgeschäfts gegen die guten Sitten nach I zu prüfen (BGH NJW 07, 2841 [BGH 29.06.2007 - V ZR 1/06] Tz 16). Va die Rspr verlangt dann für eine Sittenwidrigkeit nach § 138 I das Vorliegen zusätzlicher Umstände (RGZ 93, 29; 97, 254; BGH NJW 51, 397; Erman/Schmidt-Räntsch § 138 Rz 31). Da § 138 II die Generalklausel konkretisiert (›insb‹), sind regelmäßig keine zusätzlichen Anforderungen aufzustellen (MüKo/Armbrüster Rz 142). Zum wucherähnlichen Geschäft oben Rn 28.
Rn 52
Im Allgemeinen ist § 138 ggü § 134 subsidiär. Dieses Vorrangverhältnis besteht jedoch nicht zwischen § 138 II und § 134 iVm § 291 StGB. Da § 138 II einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit regelt und § 291 StGB an die Voraussetzungen des § 138 II angepasst ist, wäre der Wuchertatbestand sonst weitgehend bedeutungslos. § 138 II ist deswegen ggü § 134 iVm § 291 StGB vorrangig (AnwK/Looschelders Rz 357; s.a. MüKo/Armbrüster § 138 Rz 140; aA Erman/Schmidt-Räntsch § 138 Rz 10, nebeneinander; Jauernig/Mansel § 138 Rz 19, Vorrang von § 134).
II. Objektive Voraussetzungen.
1. Entgeltliches Austauschverhältnis.
Rn 53
§ 138 II verlangt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Die Vorschrift kommt daher nur bei einem Austauschverhältnis vermögensrechtlicher Art in Betracht (BGH NJW 82, 2767 [BGH 08.07.1982 - III ZR 1/81]), zB Kauf-, Darlehens-, Miet-, Dienst-oder Werkverträge. Nicht unter § 138 II fallen die Bürgschaft (BGH NJW 88, 2602 [BGH 07.06.1988 - IX ZR 245/86]; 89, 831 [BGH 18.11.1988 - V ZR 75/87]), der Erlass (vgl BGH NJW-RR 98, 591), die Schenkung (vgl RG JW 07, 167) und ein familienrechtlicher Vertrag (BGH NJW 85, 1834 [BGH 24.04.1985 - IVb ZR 22/84]; 92, 3165 [BGH 09.07.1992 - XII ZR 57/91]).
2. Auffälliges Missverhältnis.
Rn 54
Für ein auffälliges Missverhältnis ist der objektive Wert von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zugrunde zu legen (BGH NJW 00, 1255 [BGH 22.12.1999 - VIII ZR 111/99]). Maßgebend ist grds der Verkehrswert der verglichenen Leistungen, also das verkehrsübliche Äquivalent (BGH NJW 99, 3190 [BGH 28.04.1999 - XII ZR 150/97]; 02, 431 [BGH 28.10.2002 - II ZR 353/00]; bei Immobilien Vergleichswertmethode BGH NJW-RR 08, 1436 [BGH 18.12.2007 - XI ZR 324/06] Tz 32). Auf ein besonderes persönliches Interesse eines Vertragsteils kommt es nicht an (BaRoth/Wendtland Rz 44). Bei Sammlerstücken oder ausverkauften Sport- bzw Konzertveranstaltungen (Köln OLGZ 93, 193f) sind die besonderen Marktverhältnisse zu berücksichtigen. Bei Anmietung eines Unfallersatzfahrzeugs (vgl Rn 154) wird ein gesonderter Markt angenommen (BGH NJW 07, 1447 [BGH 10.01.2007 - XII ZR 72/04] Tz 12; 2181 Tz 10). Bei unverhältnismäßig hohen Entgelten für Dienstleistungen spricht ein Indiz für die Sittenwidrigkeit, wenn sie nicht am Markt erzielt wurden. Bei überhöhten Vorstandsbezügen etwa tritt die Sittenwidrigkeit neben den Maßstab aus § 87 I, II AktG.
Rn 55
Ein auffälliges Missverhältnis ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Wert der vereinbarten Gegenleistung knapp 100 % über der Marktüblichen Vergütung liegt (BGH NJW 82, 2767 [BGH 08.07.1982 - III ZR 1/81]; 95, 1022; 99, 3189). Bei dieser Wertrelation geht die Rspr bei zahlreichen Vertragstypen, wie etwa Grundstückskaufverträgen (BGHZ 160, 16 f; BGH NJW 07, 2841 Tz 16), Immobilienbeschaffungsverträgen (BGH NJW 12, 2099 Tz 13) und Kaufverträgen über vergleichbar wertvolle Mobilien wegen des hohen absoluten Betrags sogar von einem groben, besonders krassen Missverhältnis aus (BGH NJW 00, 1255 [BGH 22.12.1999 - VIII ZR 111/99]), ebenso bei gewerblichen Miet- und Nutzungsverhältnissen (BGH NJW 99, 3189 [BGH 28.04.1999 - XII ZR 150/97]). Das Grundbuchamt kann dann die Grundbucheintragung verweigern (Braunschw FGPrax 22, 197). Zu den Konsequenzen eines besonders groben Missverhältnisses Rn 64. Der Richtwert wird bei verschiedenen Vertragstypen modifiziert. Beim Bauvertrag kann beim Achtfachen des ortsüblichen und angemessenen Preises ein auffälliges Missverhältnis angenommen werden, wenn der Preisanteil absolut und im Verhältnis zur Auftragssumme erheblich ist (BGH NJW 13, 1950 [BGH 07.03.2013 - VII ZR 68/10] Rz 25; 2013, 1953 Rz 34). Lohnwucher soll bei einem Entgelt von weniger als 66 % des Tariflohns im streitgegenständlichen Zeitraum vorliegen (BGH NJW 97, 2690 f; NZA 09, 837 Tz 10, 13; BAG NZA 12, 974 Tz 34; ZIP 15, 992 Tz 18, Rechtsanwalt; krit Fischinger JZ 12, 546). Der Tariflohn ist üblich, wenn mehr als 50 % der ArbG eines Wirtschaftsbezirks tarifgebunden sind oder die organisierten ArbG mehr als 50 % der ArbN eines Wirtschaftsbezirks beschäftigen (BAG NZA 12, 974 Tz 32). Dasselbe gilt, wenn ohne maßgebliche Tarifentgelte die vereinbarte Vergütung mehr als ein Drittel unter dem Lohnniveau der Tätigkeit im Wirtschaftsbezirk bleibt (BAG NJW 16, 2360 Tz 21). Bei angestellten Lehrkräften is...