Gesetzestext
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
A. Normzweck.
Rn 1
Eine Rechtsordnung, die auf eine selbstbestimmte Regelung der Privatrechtsbeziehungen abstellt, kann nicht auf Sicherungen gegen einen krassen Fehlgebrauch verzichten (Schiemann Eckpfeiler des Zivilrechts, D 174). Gesetzliche Verhaltensanforderungen (§ 134) schaffen besonders legitimierte, aber gegenständlich begrenzte Schranken. In die rechtliche Ordnungsaufgabe müssen auch nicht dem positiven Recht angehörende grundlegende soziale Wertvorstellungen einfließen. Dies wird mit der Generalklausel des § 138 verwirklicht. Sie ermöglicht es, den steten Wandel der Lebensverhältnisse und Wertvorstellungen aufzunehmen, in rechtliche Standards zu transformieren und diese Übersetzung zu legitimieren (MüKo/Armbrüster § 138 Rz 3).
Rn 2
Die Aufgabe von § 138 besteht nicht darin, Rechts- und Sittenordnung aneinander anzugleichen. Sittliches Verhalten wird nicht positiv verlangt. Vielmehr soll negativ die Durchsetzung von Rechtsgeschäften, die gegen die ganz überwiegend anerkannten Werte verstoßen, mit den Mitteln des Rechts verhindert werden (Neuner AT § 46 Rz 1; Medicus/Petersen AT Rz 680).
Rn 3
Der Wuchertatbestand in § 138 II dient dem Schutz der sich in einer Schwächeposition befindenden Personen vor einer wirtschaftlichen Ausbeutung (BaRoth/Wendtland Rz 40). Als Spezialfall der Sittenwidrigkeit konkretisiert das Wucherverbot die Generalklausel aus I. § 138 ist damit zweistufig aufgebaut. Lassen sich die Voraussetzungen des Wuchers nicht feststellen, ist auf die Generalklausel abzustellen (Rn 51; Soergel/Hefermehl Rz 73).
B. Abgrenzung.
I. § 123.
Rn 4
Die Vorschrift ist ggü § 138 vorrangig. Wer durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst wurde, kann grds allein nach § 123 anfechten. Ein Rechtsgeschäft ist nur anfechtbar, wenn seine Anstößigkeit ausschl auf einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch widerrechtliche Drohung beruht (BGH NJW 08, 982 [BGH 17.01.2008 - III ZR 239/06] Rz 11; 21, 3179 Rz 46). Ausnahmsweise kann § 138 I neben § 123 I anwendbar sein (BGH NJW 88, 2601 [BGH 07.06.1988 - IX ZR 245/86]; 95, 3315 [BGH 26.09.1995 - XI ZR 159/94]; 02, 2775 [BGH 04.07.2002 - IX ZR 153/01]), etwa bei der Täuschung unerfahrener Personen durch Gewinnversprechen (BGH NJW 05, 2992 [BGH 29.06.2005 - VIII ZR 299/04]). Eine vertragliche Verpflichtung, durch die mit einer Täuschung bewusst das Recht eines Dritten aus einem anderen Vertrag vereitelt werden soll, ist sittenwidrig (BGH NJW 88, 903 [BGH 20.01.1988 - VIII ARZ 4/87]).
II. § 134.
Rn 5
Ggü § 138 I bildet § 134 die speziellere Norm (BGH NJW 83, 869 f [BGH 18.11.1982 - III ZR 61/81]; BAG NJW 93, 2703). Auf ein Rechtsgeschäft, das sowohl gegen ein Verbotsgesetz als auch die guten Sitten verstößt, ist § 134 anzuwenden (BAG NJW 93, 2703; BaRoth/Wendtland Rz 6; aber BGHZ 53, 160). Dies ist bedeutsam, weil der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz nach § 134 – anders als der Verstoß gegen § 138 – nicht stets zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt (Erman/Arnold Rz 11; dazu § 134 Rn 16, 25). Lässt sich die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht aus § 134 ableiten, ist grds auf § 138 abzustellen. Diese Konkurrenz darf allerdings nicht dazu führen, dass die gesetzliche Wertung aus § 134 unterlaufen wird. Eine Gesetzeswidrigkeit allein begründet noch nicht die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts. Dafür sind zusätzlich besondere Umstände erforderlich (BGHZ 138, 299; BAG NJW 93, 2703; Staud/Sack/Fischinger § 138 Rz 172). Eine Verletzung ausländischer Rechtsnormen, die zugleich gegen allg gültige sittliche Grundsätze verstößt, ist gem § 138 I zu beurteilen (BGHZ 94, 271). Der Vorrang gesetzlicher Verbote ggü der Sittenwidrigkeit besteht nicht zwischen § 138 II und § 134 iVm § 291 StGB (Rn 52).
III. § 157.
Rn 6
Zunächst ist durch Auslegung zu bestimmen, ob das Rechtsgeschäft einen sittenwidrigen Inhalt hat. IRd ergänzenden Vertragsauslegung ist zu berücksichtigen, was redliche Vertragspartner vereinbart hätten (BaRoth/Wendtland Rz 7).
IV. § 242.
Rn 7
Eine Verletzung von Treu und Glauben stellt einen geringeren Verstoß als ein sittlich vorwerfbares Verhalten dar (AnwK/Looschelders Rz 17; Staud/Sack/Fischinger § 138 Rz 31 aA Staud/Sack (2003) Rz 154f). Einerseits ist die Sittenwidrigkeit vorrangig zu prüfen, andererseits begründet § 242 eine über § 138 hinausreichende Inhaltskontrolle (BaRoth/Wendtland Rz 8). Ausnahmsweise kann die Berufung auf die Sittenwidrigkeit als unzulässige Rechtsausübung treuwidrig sein (BGH NJW 81, 1439 [BGH 23.01.1981 - I ZR 40/79]). Zu denken ist an einen Wandel der Verhältnisse oder Wertvorstellungen (Staud/Sack/Fischinger § 138 Rz 33), ...