Rn 1
§ 1569 beinhaltet keine selbstständige Anspruchsgrundlage. Die Vorschrift normiert den Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung. Jeder Ehegatte hat nach der Scheidung regelmäßig selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Daneben steht der Grundsatz der nachwirkenden Mitverantwortung des wirtschaftlich stärkeren Ehegatten für den anderen (BVerfG FamRZ 81, 745; BGH FamRZ 10, 1057). Die Rechtfertigung für die Beschränkung der sich durch Art 2 I GG geschützten finanziellen Handlungsfreiheit des Verpflichteten als Folge der Unterhaltspflicht ggü dem bedürftigen Ehegatten ist aus der fortwirkenden (nach-)ehelichen Solidarität herzuleiten (BGH NJW 04, 930; zu Legitimationsproblemen im nachehelichen Unterhaltsrecht eingehend Brudermüller, Geschieden und doch gebunden?, München 2008). Das System der §§ 1569 ff gilt nicht nur, wenn die Ehe durch Scheidung (§§ 1564 ff) aufgelöst wird, sondern auch nach Aufhebung der Ehe (§ 1318). Seiner Rechtsnatur nach ist der gesetzliche Unterhaltsanspruch ein familienrechtlicher Anspruch, der jedoch schuldrechtliche Züge trägt (Möglichkeit von Vereinbarungen [§ 1585c], einer Kapitalisierung [§ 1585 II] sowie einer Sicherheitsleistung [§ 1585a]). Andererseits behält eine vertragliche Unterhaltsregelung familienrechtlichen Charakter, soweit sie sich lediglich als Ausprägung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs darstellt. Hierfür spricht eine Vermutung (BGH FamRZ 88, 933).
Rn 1a
Die durch die Ehe begründete Unterhaltspflicht unterteilt sich in den Familien- (§§ 1360, 1360a), Trennungs- (§ 1361) und nachehelichen Unterhalt (§§ 1569 ff). Dazu zählen als Pendant des Unterhaltsanspruchs, übergegangene Ansprüche (zB gem SGB XII), der Prozesskosten- bzw Verfahrenskostenvorschuss (§ 1360a), Anspruch auf Zustimmung zum Realsplitting (BGH FamRZ 21, 1878; 20, 1394) sowie als Familiensache kraft Verfahrenszusammenhangs die dazu gehörigen Hauptsacheverfahren und Eilverfahren; Arrest zur Sicherung von Unterhaltsansprüchen, Vollstreckungsgegenverfahren und Drittwiderspruchsverfahren bei Zugrundeliegen eines Unterhaltsanspruchs. Für eingetragene Lebenspartnerschaften gelten weitgehend die Vorschriften für die Ehe entspr (vgl Grüneberg/v Pückler, Einf vor § 1569 Rz 1).
Rn 2
Das UÄndG vom 1.1.08 hatte den Grundsatz der Eigenverantwortung gestärkt. Er ist als Leitlinie für die Auslegung der einzelnen Unterhaltstatbestände heranzuziehen. In stärkerem Maße als früher ist jetzt zu berücksichtigen, ob die Unterhaltsbedürftigkeit aus der Aufgabenverteilung während der Ehe resultiert oder auf andere, nicht spezifisch ehebedingte Gründe zurückzuführen ist.
Rn 3
Die Unterhaltsreform 2008 hat nach Auffassung vieler familienrechtlicher Praktiker noch keinen in jeder Hinsicht befriedigenden Stand erreicht (vgl schon Obermann NZFam 2014, 577). Der Ausschuss Familienrecht des Deutschen Anwaltvereins hat in einer ›Initiativstellungnahme‹ für ein ›modernes Unterhaltsrecht‹ weitere Reformvorschläge (›Reform der Reform‹) (vgl zu Einzelheiten Obermann NZFam 17, 189; Ackermann-Sprenger NZFam 17, 105; Schlünder FF 17, 90; Koch ZRP 17, 162; vgl auch Schürmann NZFam 20, 842) unterbreitet.
Rn 4
Die Initiativstellungnahme (zur Kritik hieran wiederum Battes FamRZ 19, 10) enthält im Wesentlichen folgende Vorschläge:
- Für getrenntlebende eheliche und nichteheliche Elternteile wird ein einheitlicher Betreuungsunterhaltsanspruch geregelt. Dieser besteht in den ersten drei Lebensjahren des Kindes ohne Einschränkung und verringert sich, solange und soweit für das Kind noch ein Betreuungsbedarf besteht, wobei ein (eingeschränkter) Betreuungsbedarf in der Regel bis zum 14. Lebensjahr angenommen werden können soll. Der Höhe nach soll sich der Anspruch nach dem Einkommen beider Elternteile bemessen. Für die Zeit nach Scheidung wird ein Kompensationsunterhalt vorgeschlagen, der den Ausgleich ehebedingter, auf der ehelichen Aufgabenverteilung beruhender Nachteile für die Dauer deren Bestehens vorsieht und der sich der Höhe nach nach dem angemessenen Bedarf des Berechtigten richtet.
- Schließlich wird für Ehen, die länger als drei Jahre bestanden haben, ein Übergangsunterhalt für in der Regel zwei Jahre vorgeschlagen, dessen Höhe sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen richten soll und der in Fällen grober Unbilligkeit angemessen verlängert werden kann. Dieser Unterhaltsanspruch soll bestehen, wenn ein Unterhaltsanspruch aus anderem Grund nicht in Betracht kommt.
Rn 5
§ 1569 I postuliert die Obliegenheit des geschiedenen Ehegatten, also eine Verhaltensanforderung an den Berechtigten, im eigenen Interesse nach Scheidung für sein wirtschaftliches Fortkommen selbst zu sorgen. Ein nachehelicher Unterhalt soll keine Lebensstandardgarantie entspr den bisherigen ehelichen Lebensverhältnissen gewähren (BGH FamRZ 13, 274; 08, 968). Eine fortwirkende Verantwortung ist für den bedürftigen Ehegatten va zum Ausgleich von ehebedingten, nicht scheidungsbedingten, Nachteilen erforderlich, die aufgrund der Aufgabenverteilung in der Ehe entstanden sind ...