Prof. Dr. Moritz Brinkmann
Rn 4
Mit dem Begriffspaar von ›Treu und Glauben‹ ist zum einen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens und zum anderen das Gebot eines gerechten Interessenausgleichs angesprochen.
Rn 5
So widerspricht es dem Grundsatz von Treu und Glauben, eine Vertragsklausel so auszulegen, dass sie im Widerspruch zu einer anderen Vertragsklausel oder dem Zweck des Vertrages steht (BGHZ 146, 318, 327 = NJW 01, 2622 zum Zweck eines Vertragsstrafeversprechens; BGH ZIP 05, 296 zur Bindung des alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers an das ›seine‹ GmbH treffende Wettbewerbsverbot). Ebenso ist eine Auslegung, die der erfüllungsbereiten Partei ein Festhalten am Vertrag verwehren und der anderen Seite eine Abkehr vom Vertrag ermöglichen würde, nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben zu vereinbaren (BGH NJW-RR 90, 817 [BGH 14.03.1990 - VIII ZR 18/89] für die ergänzende Vertragsauslegung).
Rn 6
Die in § 157 bestimmte Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben bei der Auslegung vertraglicher Vereinbarungen hat weiter zur Folge, dass grds davon auszugehen ist, dass beide Parteien mit der getroffenen Vereinbarung ihren gegenseitigen Interessen gerecht werden wollen, sodass sich das Rechtsgeschäft nicht als Durchsetzung der Interessen nur einer Seite darstellt (BGH NJW-RR 00, 131 [LG Hamburg 30.07.1999 - 313 S 40/99] zur Schwarzgeldrückforderung nach Kaufvertragsabwicklung; Hamm NJW 11, 1606 [OLG Hamm 22.02.2011 - I-28 U 49/10] zur Auslegung einer Antwort auf ein Mandantenrundschreiben nach § 32 BORA; Soergel/Riesenhuber § 133 Rz 84; MüKo/Busche Rz 7). Insoweit folgt aus Treu und Glauben der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (BGHZ 131, 136, 138 = NJW 96, 248; NJW 94, 2229).
Rn 7
Ebenfalls Ausfluss von Treu und Glauben ist der Auslegungsgrundsatz contra proferentem, der in § 305c II seinen Niederschlag gefunden hat. Hiernach gehen Unklarheiten bei der Auslegung einer Vertragsbestimmung, insb einer Regelung in AGB, zu Lasten desjenigen, der die Klausel in den Vertrag eingeführt hat. Bei dieser Regel handelt es sich allerdings nicht um eine allg Unklarheitenregel (BGH VersR 71, 172; NJW 08, 2106 für unklare Leistungsbeschreibung; Koblenz BauR 11, 1057). Denn grds wird man bei Individualverträgen, deren Inhalt sich auch nicht durch Auslegung klären lässt, einen verdeckten Dissens anzunehmen haben (§ 155 Rn 7) und wird nicht generell von einem bestimmten Verständnis der Bestimmung ausgehen dürfen (RGZ 131, 343, 350 für einen vertraglichen Haftungsausschluss). Die Anwendung der dargestellten Unklarheitenregel auf Individualvereinbarungen ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn die Einführung der Vertragsklausel ähnl wie bei der Einbeziehung von AGB auf der überlegenen Verhandlungsmacht der einen Seite beruht (Frankf OLGZ 73, 230 bzgl Wettbewerbsverbot für Angestellte; MüKo/Busche Rz 8; Grüneberg/Ellenberger § 133 Rz 23; aA Soergel/Riesenhuber § 133 Rz 96). Methodisch ist daher richtigerweise in diesen Fällen nicht die gesetzlich nicht normierte Regel der interpretatio contra proferentem unmittelbar anzuwenden, sondern es ist eine analoge Anwendung der speziellen Auslegungsregel des § 305c II (Staud/Singer § 133 Rz 62) vorzunehmen.