Rn 10
Das tradierte ›Altersphasenmodell‹ ist nicht mehr anwendbar (BGH FamRZ 11, 791; 11, 1209; Hamm FamRZ 14, 1468). Maßgeblich für die Frage, ab wann und in welchem Umfang der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, sind immer die Umstände des Einzelfalls (BGH FamRZ 12, 1040; 11, 1379). War in der Vergangenheit im Wesentlichen das Alter des zu betreuenden Kindes maßgeblich, sind seit dem Inkrafttreten des UÄndG 2008 mehrere Parameter abzufragen, die erst in ihrer Gesamtheit eine Beurteilung des Einzelfalls erlauben. Neben dem Alter des oder der zu betreuenden Kinder zählen hierzu insb kindbezogene Gründe, die eine persönliche Betreuung notwendig machen könnten, die Frage, welche Betreuungsmöglichkeiten mit Blick auf das Kindeswohl zumutbar sind (Verfügbarkeit einer Betreuungseinrichtung, Qualität, Umfang (Ganztags- oder Halbtagsbetreuung?), Erreichbarkeit der Betreuungseinrichtung sowie besondere Bedürfnisse des Kindes und sonstige Umstände des Einzelfalls. Auch zu berücksichtigen ist die ›Logistik der Kinderbetreuung‹ (Menne FamRB 08, 116), insb der Aufwand für die Fahrten zur Betreuungseinrichtung, die Koordinierung mit anderen (Freizeit-)Terminen des Kindes etc.Dies hindert allerdings nicht, Orientierungshilfen oder ein ›Kriterienmodell‹ zu entwickeln, innerhalb dessen unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände flexibel die Einsatzzeiten für Erwerbsobliegenheiten beurteilt werden (vgl zu Einzelheiten Götz FPR 11, 149; Kleffmann ZKJ 11, 344; Diehl FuR 08, 519).
Eine Verlängerung des Unterhaltsanspruchs aus Billigkeitsgründen gem § 1570 I 2 u 3 und damit eine Abweichung von der Pflicht der Eigenverantwortung kommt in erster Linie aus kindbezogenen Gründen in Betracht (BGH FamRZ 15, 1369 (zu § 1615l); FamRZ 11, 791; 10, 1880). Die kindbezogenen Gründe betreffen insb die Person des Kindes und die vorhandenen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten (BGH FamRZ 09, 1391, 1124).
Zu den die Person des Kindes betreffenden Gründen zählen Alter, Anzahl der Kinder, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Erkrankungen (NJW 05, 297), eine Behinderung des Kindes (BGH FamRZ 10, 770; 10, 802), der Entwicklungsstand (BGH FamRZ 06, 1362; Schilling FF 08, 270), schulische Leistungen, Neigungen und Begabungen des Kindes (BGH FamRZ 09, 1391; zum Betreuungsaufwand bei Straffälligkeit des Kindes vgl Hamm FamRZ 09, 976).
Kindgerechte Betreuungsmöglichkeiten sind va Kindergärten, Ganztagsschulen oder Kinderhorte. Hierdurch entstehende Kosten zählen nicht zum berufsbedingten Aufwand des betreuenden Elternteils, sondern zum Bedarf des Kindes, da der Besuch solcher Einrichtungen in erster Linie erzieherischen Zwecken dient (BGH FamRZ 08, 1152). In derartigen Einrichtungen sind die Kinder regelmäßig verlässlich fremdbetreut. Öffentliche Betreuungseinrichtungen sind regelmäßig kindgerecht (BGH FamRZ 12, 1040; 09, 1124). Oftmals wird für die Dauer des Besuchs des Kindergartens oder für die Zeiten in denen das Kind oder die Kinder noch die ersten Schuljahre absolvieren nur eine Teilzeittätigkeit in Betracht kommt. An die Darlegung der kindbezogenen Gründe dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (BGH FamRZ 14, 1987; 12, 1040; Frankf FamRB 13, 384). Auch Betreuungs- und Erziehungsaufgaben einschl üblicher hauswirtschaftlicher Leistungen für das Kind werden anders als in der Vergangenheit (BGH FamRZ 09, 770) nunmehr vom BGH (FamRZ 12, 1040) unter dem Gesichtspunkt der kindbezogenen Gründe gewürdigt.
Die gebotene Einzelfallprüfung und immer noch vorhandene regionale Unterschiede bei Angeboten der Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten (vgl Viefhues FamRZ 10, 249) bringen es mit sich, dass in der Rspr die Erwerbsobliegenheit kinderbetreuender Elternteile noch sehr uneinheitlich beurteilt wird, was folgende Kasuistik (vgl auch Kleffmann, FS Brudermüller, 14, S 378 ff) verdeutlicht:
- BGH (FamRZ 15, 1369) (zu § 1615l): Verlängerung des Unterhalts bei Betreuung eines behinderten Kindes;
- BGH (FamRZ 10, 1050): Kein unterhaltsrechtlicher Bedarf, wenn Hortbetreuung auch Hausaufgaben umfasst.
- BGH (FamRZ 10, 1880): Die tatsächliche und zumutbare Entlastung durch den anderen Elternteil ist zu berücksichtigen und kann zu einer Erwerbsobliegenheit führen, nicht jedoch wenn der geschiedene Ehegatte seit längerem keinen unbegleiteten Umgang mit dem Kind hatte (Celle FamRZ 09, 975) oder ein nicht aufgearbeiteter Elternkonflikt besteht (KG FamRZ 09, 981).
- BGH (FamRZ 11, 1209): Das Betreuungsangebot durch den anderen Elternteil ist, falls im Einzelfall keine Gründe dagg sprechen, grds anzunehmen (vgl auch Frankf FamRB 19, 255).
- BGH (FamRZ 09, 1391): Nahrungsmittelallergie, Schulschwierigkeiten Entwicklungsstörungen können der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entgg stehen.
- BGH (FamRZ 09, 1399): Bei Betreuung eines siebenjährigen Kindes, das die Schule bis 14 Uhr besucht, ohne die Möglichkeit eines anschließenden Hortbesuchs, erachtet die halbschichtige Tätigkeit eines betreuenden Elternteils für ausreichend.
- BGH (FamRZ 09, 770): Das Urt des OL...