Rn 6
Die vier Einsatzzeitpunkte des § 1572 wollen einerseits den zeitlichen Zusammenhang des nachehelichen Unterhalts mit der Ehe sicherstellen (BGH FamRZ 18, 260; Celle FamRZ 16, 1169; Born FamRZ 22, 759), andererseits die nacheheliche Solidarität begrenzen.
Rn 7
Zeitpunkt der Scheidung bedeutet eine Erkrankung bei Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses. Dies gilt auch bei langjähriger Trennung (Zweibr FuR 00, 425). Bei einer Verbundentscheidung sind die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestehenden Verhältnisse maßgebend, sofern die bis zum Eintritt der Rechtskraft zu erwartende Entwicklung nicht voraussehbar ist (BGH FamRZ 83, 144). Gesundheitliche Störungen, welche nach Scheidung zur Erwerbsunfähigkeit führen (›latente Krankheiten‹), können einen Anspruch nach § 1572 begründen, wenn die Beschwerden schon im Zeitpunkt der Scheidung bestanden und sich nachher entspr verschlimmert haben und soweit der Unterhalt noch nicht durch Erwerbstätigkeit nachhaltig gesichert war (grundl BGH FamRZ 01, 1291; NJW 87, 2229; krit JHA/Hammermann § 1572 Rz 22). Erforderlich ist ein naher zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Störungen und dem Einsatzzeitpunkt (Richtschnur: zwei Jahre, BGH FamRZ 01, 1291; Celle FamRZ 16, 1169; Ddorf FamRZ 03, 683; 4 Jahre nicht ausreichend, enger Kobl FuR 06, 45: kein naher zeitlicher Zusammenhang bei einer Erkrankung, die 21 Monate nach Rechtskraft der Scheidung ausbricht). Die Funktion der Einsatzzeitpunkte (Wahrung der Eigenverantwortung, § 1569) darf nicht ausgehöhlt werden. Der Gesetzgeber hat die Grenzen nachehelicher Solidarität bewusst eng gezogen und den Tatbestand durch Einsatzzeitpunkte scharf eingegrenzt. Jede andere (großzügigere) Betrachtungsweise insb des nahen zeitlichen Zusammenhangs liefe der Intention zuwider, wonach schicksalsbedingte Ereignisse, die sich nach der Scheidung im Leben eines geschiedenen Ehegatten einstellen, grds nicht zu Lasten des anderen Ehegatten gehen dürfen. Ist im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit eine Erwerbstätigkeit nicht zu erwarten, besteht ein originärer Anspruch auf Krankheitsunterhalt. War im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit nur eine teilschichtige Erwerbstätigkeit möglich und verschlimmert sich in der Folgezeit die Krankheit so sehr, dass in nahem zeitlichen Zusammenhang völlige Erwerbsunfähigkeit eintritt, ist der spätere völlige Wegfall der Erwerbsfähigkeit noch dem Einsatzzeitpunkt der Scheidung zuzurechnen (BGH FamRZ 87, 684).
Rn 7a
Auch eine im Zeitpunkt der Scheidung latent vorhandene Erkrankung genügt iRd § 1572 nicht, wenn sie nicht im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung ausbricht und zur eingeschränkten Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit führt (BGH FamRZ 87, 687). Ist im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit eine Erwerbsfähigkeit nicht zu erwarten, besteht ein originärer Anspruch auf Krankheitsunterhalt. War im Zeitpunkt der Scheidung wegen Krankheit nur eine teilschichtige Erwerbstätigkeit möglich und verschlimmert sich in der Folgezeit die Krankheit so sehr, dass in nahem zeitlichen Zusammenhang eine völlige Erwerbsunfähigkeit eintritt, ist der spätere völlige Wegfall der Erwerbsfähigkeit noch dem Einsatzzeitpunkt der Scheidung zuzurechnen (BGH FamRZ 87, 684; eingehend Born FamRZ 22, 759).
1. Latente Erkrankung.
Rn 7b
Hier werden im Wesentlichen drei verschiedene Auffassungen vertreten:
- Eng: Der Bedürftige muss zum Einsatzzeitpunkt so krank sein, dass keine Erwerbstätigkeit mehr möglich ist.
- Weit: Danach soll es ausreichen, wenn im Einsatzzeitpunkt noch keine Krankheit erkannt wurde, aber latent vorhanden war.
- Vermittelnd (und nach hM): Notwendig und ausreichend ist ein naher zeitlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und Einsatzzeitpunkt.
Rn 7c
Eine Überprüfung der Rspr (s die Zusammenstellung bei MüKo/Maurer § 1572 Rz 12) macht deutlich, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ausbruch der Krankheit und dem Einsatzzeitpunkt vorhanden sein muss; andernfalls würden schicksalhafte Ereignisse auch noch deutlich nach dem Einsatzzeitpunkt zulasten des Verpflichteten gehen.
Rn 7d
Ein hinreichend naher zeitlicher Zusammenhang wurde in folgenden Fällen bejaht:
- Verschlimmerung im Jahr der Scheidung, ebenso nach Ansteckung; Ausbruch erst in der nach dem Einsatzzeitpunkt abgelaufenen Inkubationszeit (Durchblutungsstörung der Beine, labile Nerven) (Stuttg FamRZ 83, 501)
- Ausbruch der Krankheit 2,5 Jahre nach dem Stichtag (Krebserkrankung; das Gericht betont die Besonderheit einer langsamen Entwicklung) (Schlesw BeckRS 00, 30091117).
Rn 7e
Dagegen wurde ein Zurechnungszusammenhang in folgenden Fällen verneint:
- Zeitablauf von 21 Monaten (Erwerbsunfähigkeit wegen Bandscheibenschadens) (Kobl FamRZ 06, 704)
- Ausbruch der Krankheit bzw Eintritt Erwerbsunfähigkeit 23 Monate nach Stichtag (rheumatische Erkrankung; neurotische Depression) (BGH FamRZ 01, 1291)
- Eintritt Spätfolgen nach 3 Jahren (Nervenkrankheit) (Karlsr FamRZ 99, 917)
- Auswirkungen der Erkrankung nach 4 Jahren (psychisch...