Rn 3
Auch § 1574 I nF beinhaltet durch die Beibehaltung des Terminus ›angemessen‹ eine Einschränkung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dahin, dass nicht jedwede Tätigkeit aufzunehmen ist. Nimmt der Berechtigte eine untergeordnete Arbeit an, kann sein daraus erzieltes Einkommen als überobligatorisch anzusehen und damit nur teilw anrechenbar sein (BGH FamRZ 05, 1154).
Rn 4
§ 1574 II enthält keinen abschließenden Katalog der Angemessenheitskriterien. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls zu prüfen und abzuwägen, wobei allerdings den im G genannten Merkmalen besondere Bedeutung zukommt (BGH FamRZ 20, 21; 05, 23). Ob eine Erwerbstätigkeit als angemessen anzusehen ist und dem Ehegatten insb eine ausreichende berufliche Entfaltung ermöglicht, ist unter Zumutbarkeitskriterien zu prüfen (BGH FamRZ 05, 23). Die Kriterien sind nicht statisch bezogen auf den Scheidungszeitpunkt zu würdigen (BGH FamRZ 08, 2104). Eine angemessene Erwerbstätigkeit kann auch in der Ausübung von zwei Teilzeitbeschäftigungen bestehen (BGH FamRZ 12, 1483).
I. Ausbildung.
Rn 5
Ein leitender Gesichtspunkt für die Angemessenheit ist die berufliche Ausbildung, die ein Ehegatte vor oder in der Ehe genossen hat (BGH FamRZ 05, 23). Bei der Ausbildung kommt es va darauf an, ob es sich um eine abgeschlossene Berufsausbildung (Hochschul- oder Fachhochschulstudium, Fachschulausbildung mit entspr Qualifikation, Handwerkslehre mit Gesellen- oder Meisterprüfung etc) handelt, die zur Aufnahme eines bestimmten Berufs berechtigt. Ist die Berufsausbildung nicht abgeschlossen, so kommt ihr idR keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Eine einmal ausgeübte Beschäftigung ist regelmäßig angemessen, wenn sie der beruflichen Vorbildung oder dem Ausbildungsniveau (BGH FamRZ 91, 416), der Vorbildung oder der selbstgewählten bisherigen beruflichen Entwicklung entspricht (Karls FamRZ 09, 120). Eine Vorbildung ist unbeachtlich, wenn sie keine reale Beschäftigungschance (zum maßgebenden Zeitpunkt für die Prüfung vgl BGH FamRZ 08, 2104) begründet (Hamm FamRZ 98, 243: approbierte Ärztin, die nie in ihrem Beruf tätig war, darf sich bei ihren Erwerbsbemühungen nicht nur auf ärztliche Tätigkeiten beschränken). Eine angemessene Berufstätigkeit beschränkt sich nicht nur auf das durch die Ausbildung erworbene Berufsfeld, sondern umfasst auch Tätigkeiten, die dem Status der erworbenen Ausbildung entspr (BGH FamRZ 05. 23).
II. Persönliche Fähigkeiten.
Rn 6
Hierunter fallen alle personenbezogenen Umstände geistiger oder körperlicher Art, unabhängig davon, ob sie im Beruf oder außerberuflich erworben worden sind (etwa Geschicklichkeiten, Fertigkeiten oder sonstiges beruflich verwertbares Können).
III. Alter.
Rn 7
Soweit nicht bereits die Voraussetzungen des § 1571 gegeben sind, kann auch das Alter des geschiedenen Ehegatten Berücksichtigung finden (Hamm FamRZ 08, 991). Eine Erwerbstätigkeit ist unangemessen, wenn sie mit einem unzumutbaren körperlichen und/oder seelischen Kräfteaufwand verbunden ist, der im Hinblick auf das Lebensalter nicht mehr erwartet werden kann (Zweibr FamRZ 83, 1138). Weder bei Männern noch bei Frauen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass eine erneute Erwerbstätigkeit ab einem Alter von 50 Jahren nicht mehr altersentspr ist, wenn der ursprüngliche Arbeitsplatz durch Kündigung, Insolvenz oder sonstige Umstände verloren gegangen ist. Zwar kann Alter bei einer Neueinstellung ein Hindernis sein, muss es aber nicht (vgl Hamm FamRZ 99, 1275: jedenfalls Tätigkeit im Geringverdienerbereich noch möglich; Karlsr FamRZ 02, 1567).
IV. Gesundheitszustand.
Rn 8
Auch wenn kein Anspruch nach § 1572 besteht, muss für die Angemessenheit einer konkreten Erwerbstätigkeit geprüft werden, ob sie gesundheitlich bewältigt werden kann (etwa zu verneinen für stehende Tätigkeiten bei Venenleiden; grundl BGH FamRZ 86, 1085; Schneider NZFam 15, 635).
V. Frühere Erwerbstätigkeit.
Rn 9
Der Gesetzgeber sieht die Tätigkeit in einem früher ausgeübten Beruf grds als angemessen an (vgl Schlesw FamRZ 10, 651; Celle FamFR 10, 249), und zwar auch, wenn der Unterhalt beanspruchende Ehegatte während der Ehe eine Tätigkeit ausgeübt hat, die unter seiner beruflichen Qualifikation lag (BGH FamRZ 05, 23). Grds gilt dies auch, wenn die Erwerbstätigkeit während der bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft aufgrund einer wirtschaftlich beengten Situation oder nur zeitlich befristet aufgenommen wurde, weil der Anlass oder das Motiv für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in der Ehe grds unerheblich sind (Borth FamRZ 08, 2).
VI. Eheliche Lebensverhältnisse.
Rn 10
§ 1574 II 1 Hs 2 nF nimmt die ehelichen Lebensverhältnisse aus der Prüfung der Angemessenheit der Erwerbstätigkeit aus, behält sie jedoch als Korrektiv iRe gesonderten Billigkeitsprüfung bei. Mit dieser Regelung soll im Einzelfall dem Vertrauen des Berechtigten im Hinblick auf eine ›nachhaltige gemeinsame Ehegestaltung‹ Rechnung getragen werden (BTDrs 16/1830, S 17). Der Begriff der ehelichen Lebensverhältnisse ist nicht abschließend gefasst. Bedeutsam sind grds die Verhältnisse bis zur Scheidung. Mehrere Elemente sind zu berücksichtigen, insb die Dauer der Ehe, die Dauer der Pflege und E...