Gesetzestext
1Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit und solange von ihm aus sonstigen schwerwiegenden Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Versagung von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre. 2Schwerwiegende Gründe dürfen nicht allein deswegen berücksichtigt werden, weil sie zum Scheitern der Ehe geführt haben.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 1576 enthält eine positive Billigkeitsklausel. § 1576 soll als Auffangtatbestand (BGH FamRZ 83, 800) Regelungslücken schließen und damit Härten vermeiden, die sich aus dem enumerativen Tatbestandskatalog der §§ 1570 bis 1573 und 1575 für den Gläubiger ergeben können (BGH FamRZ 03, 1734), also sicherstellen, dass das Enumerationsprinzip der nachehelichen Unterhaltstatbestände keine unbilligen und ungerechten Härten verursacht. § 1576 beinhaltet eine Härteregelung für Ausnahmefälle. § 1576 ist eng auszulegen. Ein Einsatzzeitpunkt ist nicht erforderlich (BGH FamRZ 03, 1734). Der Anspruch besteht nur, solange und soweit aus schwerwiegenden Gründen keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Er setzt einen ungedeckten Bedarf des Unterhalt begehrenden Ehegattens voraus (Kobl FamRZ 18, 913).
B. Anspruchsvoraussetzungen.
Rn 2
Es muss ein sonstiger, den Tatbeständen der §§ 1570–1572 und 1575 vergleichbarer schwerwiegender Grund vorliegen; die Versagung des Unterhalts wäre unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig.
I. Sonstige schwerwiegende Gründe.
Rn 3
Die Gründe für das Absehen von einer Erwerbstätigkeit müssen so schwer wiegen wie die Gründe, die in den Tatbeständen der §§ 1570 ff zugrunde gelegt worden sind. Sie müssen zwar nicht ehebedingt sein (BGH FamRZ 03, 1734). Eine Ehebedingtheit stellt jedoch zumindest einen wichtigen Anhaltspunkt dafür dar, ob ein sonstiger schwerwiegender Grund bejaht werden kann. Der Unterhaltsanspruch wird in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten gewährt. Auf die Ursachen der Zerrüttung der Ehe kommt es grds nicht an. Allerdings können Gründe, die zum Scheitern der Ehe geführt haben, iRd Billigkeitsabwägung mit berücksichtigt werden (BGH FamRZ 84, 361). § 1576 ist auch zu prüfen, wenn Krankheitsunterhalt nur am Einsatzzeitpunkt scheitert (BGH FamRZ 03, 1734). Entspr hat zu gelten, wenn ein anderer Unterhaltstatbestand der §§ 1570 ff nur am Einsatzzeitpunkt scheitert (Hamm FamRZ 99, 230). Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von der Scheidung sind strengere Anforderungen an die Ausweitung der nachehelichen Solidarität, die dem Anspruch nach § 1576 zugrunde liegt, zu stellen (BGH FamRZ 03, 1830, 1734). Je länger die Scheidung zurückliegt, um so eher kann der Pflichtige darauf vertrauen, nicht mehr auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden.
II. Grobe Unbilligkeit.
Rn 4
Die Unterhaltsversagung muss unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig sein, dh dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen (BGH FamRZ 83, 800). IRd gebotenen Billigkeitsabwägung (grundl BGH FamRZ 03, 1734) sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu würdigen, insb die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute.
Rn 5
Da es sich bei § 1576 um eine Billigkeitsklausel handelt, bedarf ein derartiger auf positive Billigkeit gestützter Unterhaltsanspruch keines Korrektivs um der Billigkeit willen. Die Härteklausel des § 1579 greift ggü einem Unterhaltsanspruch nach § 1576 nicht ein. Billigkeitsgesichtspunkte können zugleich Einfluss auf die Höhe und die Dauer des Unterhaltsanspruchs nehmen. Kann der Verpflichtete den Unterhalt nicht ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts leisten (§ 1581), entfällt ein Anspruch.
III. Kasuistik.
Rn 6
Die Gründe für die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit sind vielfältig, lassen sich im Wesentlichen jedoch in den nachfolgenden Fallgruppen erfassen.
Besondere Leistungen für den anderen Ehegatten sind als schwer wiegender Grund anzusehen, wenn die Erwerbstätigkeit deswegen unterbleibt. Es wäre treuwidrig, einerseits die Leistung eines Ehepartners in Anspruch zu nehmen und ihm andererseits die Unterstützung zu versagen, wenn er sich infolge der dem Verpflichteten zugutekommenden Leistung nicht selbst unterhalten kann. Je entsagungsvoller das iRv § 1576 angeführte Verhalten des geschiedenen Ehegatten war (und auch ist), desto eher ist dem anderen eine nacheheliche Unterhaltslast zumutbar.
Auch Vermögensopfer im Interesse des Verpflichteten (etwa die Finanzierung einer Ausbildung des Verpflichteten oder auch ein Umzug mit Arbeitsaufgabe im Interesse des Verpflichteten) können iSd Gegenseitigkeitsverhältnisses einen schwerwiegenden Grund darstellen.
Krankheit und Behinderung jenseits der Einsatzzeitpunkte genügen für sich nicht, mögen sie auch ehebedingt sein. Es müssen stets besondere Umstände des Einzelfalls wie Mitverantwortung für die Krankheit (Verletzung durch den Verpflichteten) oder die sonstige Schaffung besonderer Vertrauenstatbestände, die über die Scheidungsrechtskraft hinauswirken, hinzutreten (Zweibr FamRZ 02, 821).
Pflege und Erziehung betreuungsbedürftiger nichtgemeinschaftlicher ...