1. Anwendungsbereich des § 1577 II.
Rn 10
Einkünfte aus zumutbarer Tätigkeit mindern stets die Bedürftigkeit (BGH FamRZ 83, 146). Einkünfte aus überobligatorischer Tätigkeit bleiben sowohl beim Bedarf als auch bei der Bedürftigkeit nach Billigkeit ganz oder teilw unberücksichtigt. Dies gilt gleichermaßen für den Schuldner wie den Gläubiger (BGH FamRZ 01, 350). Eine tatsächliche Berufsausbildung indiziert die Zumutbarkeit der Tätigkeit (Ddorf FamRZ 10, 813).
Einkommen aus unzumutbarer Tätigkeit ist wie jedwedes anderes Einkommen zu bereinigen (vgl Rn 15). Für die Anrechnung des sodann verbleibenden Einkommens kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Es hat eine umfassende Billigkeitsprüfung zu erfolgen (beiderseitige Einkommensverhältnisse, Arbeitsumfang, Entlastung durch Fremdbetreuung von Kindern (BGH FamRZ 05, 1154), Kompatibilität der Arbeitszeiten mit den Zeiten des Kindergarten und/oder Schulbesuchs etc). Überobligationsmäßig erzielte Einkünfte bleiben nicht ohne weiteres gänzlich anrechnungsfrei. Auch für die Höhe der anzurechnenden Einkünfte spielen die Umstände des Einzelfalls, das Alter der Beteiligten, Art und Weise der fortgesetzten Tätigkeit, die körperliche und geistige Belastung, die ursprüngliche Planung der Eheleute eine Rolle (BGH FamRZ 13, 191; 11, 454).
Aus überobligatorischer Tätigkeit erzielte Einkünfte sind hinsichtlich der nach Kürzung um den nach § 1577 II anrechnungsfreien Betrag bedarfserhöhend anzusetzen (BGH FamRZ 06, 683; 05, 1154). Lediglich der nicht unterhaltsrelevante Anteil an den überobligationsmäßigen Einkünften prägt nicht.
2. Grenzen zumutbarer Tätigkeit.
Rn 11
Eine Tätigkeit ist immer unzumutbar, wenn derjenige, der sie ausübt, unterhaltsrechtlich nicht gehindert ist, sie jederzeit wieder zu beenden (BGH FamRZ 13, 1558; 01, 350; Stuttg FamRZ 07, 400). Dies gilt für den Unterhaltsschuldner wie für den Unterhaltsgläubiger gleichermaßen. Übt der Gläubiger eine unzumutbare Tätigkeit aus, bleibt er bedürftig, wenn das erzielte und nur nach § 1577 II anrechenbare Einkommen seinen Unterhaltsbedarf nicht deckt. Einkünfte aus unzumutbarer Erwerbsquelle bleiben nur ausnahmsweise völlig unangetastet. Nach § 1577 II 2 sind sie in begrenztem Umfang regelmäßig auch zur Entlastung des Unterhaltsschuldners heranzuziehen (BGH FamRZ 95, 343). Die Grenze zumutbarer Tätigkeit ist nicht statisch. Sie kann sich durch veränderte Umstände und Belastungen (Heranwachsen der Kinder, spätere Übernahme von Betreuungsaufgaben; Kobl FamRZ 99, 1275), gesundheitliche Beeinträchtigungen, Alter etc verschieben. Im Mangelfall gelten bei der Zumutbarkeitsprüfung erhöhte Anforderungen (BGH NJW 99, 2365, 2804 [BGH 17.03.1999 - XII ZR 139/97]; zu Einzelheiten vgl § 1581 Rn 10). Geboten ist eine umfassende Prüfung der Umstände des Einzelfalls (BGH FamRZ 05, 1442).
Rn 12
Der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift liegt bei der Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit über das Rentenalter hinaus, der Ausübung einer nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht angemessenen Tätigkeit und insb bei einer neben der Kindesbetreuung fortgesetzten oder nach der Trennung ohne eine entspr Obliegenheit aufgenommenen Erwerbstätigkeit. Das tradierte Altersphasenmodell gilt nicht mehr (vgl § 1570 Rn 7 ff). Tendenziell setzen Erwerbsobliegenheiten bei Kindesbetreuung deutlich früher ein. Ein maßgebendes Indiz für eine vorhandene tatsächliche Arbeitsfähigkeit und die Abgrenzung obligatorischer von überobligatorischen Einkünften bei Kindesbetreuung kann die freiwillige Ausübung einer Berufstätigkeit sein (BGH FamRZ 06, 846; 05, 442) bzw die Beibehaltung einer Tätigkeit nach Trennung (BGH FamRZ 95, 343; Ddorf FamRZ 10, 39). Wichtiges Abwägungskriterium sind weiter die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien (BGH FamRZ 13, 191; 11, 454), insb auch weitere Unterhaltspflichten (Saarbr NJW-RR 06, 869), aber auch anrechungsfreies Einkommen des Unterhaltsschuldners (Hambg FamRZ 05, 927). Beengte wirtschaftliche Verhältnisse sprechen für eine weitergehende Zumutbarkeit bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit (BGH FamRZ 83, 569). Insb bestehende Kreditverpflichtungen belegen, dass der gewählte Lebenszuschnitt nicht aus dem Einkommen (nur) eines Ehegatten bestritten werden konnte. Eine nach Trennung geänderte Rollenverteilung führt bei Fortsetzung bisheriger Arbeit nicht dazu, dass diese Erwerbstätigkeit nunmehr regelmäßig als unzumutbar anzusehen ist (Hamm FamRZ 04, 375). Die Beurteilung der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Berufstätigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist eine Einzelfallbetrachtung (BGH FamRZ 08, 1739; 05, 1442) geboten. Die durch die Betreuung vorhandene konkrete Belastungssituation des Berechtigten (Anzahl der Kinder, Möglichkeiten der Drittbetreuung, Tagesmutter, Kinderhort etc), gesundheitliche Beeinträchtigungen des oder der Kinder, Entlastung bei neuer Partnerschaft etc stehen im Vordergrund stehen (BGH FamRZ 08, 1739; 05, 442). Auch ist maßgebend, wie die Kindesbetreuung mit den konkreten Arbeitszeiten unter Ber...