Rn 6
Das Gesetz definiert den für die Beurteilung der ehelichen Lebensverhältnisse maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Nach stRspr des BGH (NJW 88, 2034; vgl auch BVerfG NJW 93, 2926) sind maßgeblich die Verhältnisse im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung. Auf diesen Zeitpunkt darf allerdings nicht starr abgestellt werden. Einkommensentwicklungen prägen die ehelichen Lebensverhältnisse nicht, wenn sie auf einer unerwarteten, ungewöhnlichen, vom Normalverlauf erheblich abw Karriereentwicklung beruhen (BGH FamRZ 90, 1085; BGH FamRZ 01, 986 = FuR 01, 306) oder wenn sich das Einkommen nur infolge der Trennung wesentlich verändert hat, ohne dass die Wurzeln dieser Veränderung in die ehelichen Lebensverhältnisse zum Zeitpunkt noch intakter Ehe zurückreichen (KKFamR/Klein § 1578 Rz 53 ff; Kobl FamRZ 03, 1109). Dies gilt allerdings auf Seiten des Unterhaltspflichtigen nur für bedarfserhöhende Entwicklungen. Einkommenssenkende Entwicklungen auf Seiten des Pflichtigen prägen die ehelichen Lebensverhältnisse, wenn sie in der Ehe angelegt sind oder auch bei Fortbestand der Ehe eingetreten wären (BGH FamRZ 12, 281).
Rn 7
Aus diesem Grunde prägen weder der Ehegattenunterhalt aufgrund einer neuen Ehe oder ein nach Scheidung entstehender Kindesunterhalt oder Unterhalt nach § 1615l die Lebensverhältnisse der ersten Ehe. Für den Ehegattenunterhalt folgt dies schon daraus, dass er gerade die Scheidung der ersten Ehe voraussetzt (BVerfG FamRZ 11, 437), die anderen Unterhalte sind nach Auffassung des BGH nicht in der Ehe angelegt und wären auch bei Fortbestand der Ehe nicht entstanden (BGH FamRZ 12, 281). Hier gibt es allerdings auch andere Konstellationen. Bei Verbindlichkeiten auf Seiten des Pflichtigen ist maßgeblich, ob die Schuld auch bei Fortbestand der Ehe entstanden wäre und berücksichtigungsfähig ist. Letzteres hängt davon ab, ob sie unterhaltsbezogen leichtfertig eingegangen worden sind oder nicht. Auf Seiten des Unterhaltsberechtigten muss nach den dargestellten Kriterien nach wie vor geprüft werden, ob Schulden oder Unterhaltspflichten eheprägend sind. Dies folgt aus § 1573 IV, wonach der Wegfall Unterhalt sichernder Einkünfte nicht zur Bedürftigkeit führen kann.
Rn 8
Konkurrieren zwei Ehegattenunterhalte miteinander und sind diese gleichrangig, ist der Unterhalt der Ehegatten bei der Leistungsfähigkeit iRd § 1581 im Wege der Dreiteilung zu ermitteln BGH FamRZ 14, 823). Dafür ist das Einkommen des Pflichtigen mit dem Splittingvorteil aus der neuen Ehe ebenso zu berücksichtigen wie die Vorteile des Zusammenlebens, die zu einer Reduzierung des Familieneinkommens von 10 % führen. (BGH FamRZ 12, 281), nicht aber der Sockelbetrag bei Elterngeld (BGH FamRZ 14, 823). Ist der zweite Ehegatte nachrangig, wird er auch bei der Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt (BGH FamRZ 12, 281; 14, 823). Keinesfalls darf der geschiedene Ehegatte jedoch höheren Unterhalt erhalten, als er bekäme, wäre der Unterhaltspflichtige nicht erneut verheiratet (BGH FuR 10, 164). Der höchste Unterhalt ist auf Grundlage eines Einkommens nach Steuerklasse I ohne Beachtung des neuen Ehegatten nach der Halbteilung unter Berücksichtigung des Erwerbstätigenbonus zu berechnen.
Für die Beurteilung im Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung gegebenen ehelichen Lebensverhältnisse ist grds der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (BGH NJW 82, 2439 [BGH 09.06.1982 - IVb ZR 698/80]).
Rn 9
Veränderungen der Lebensverhältnisse vor der Trennung sind immer prägend, sofern die Einkünfte nachhaltig erzielt wurden und dauerhaft sind (BGH FamRZ 88, 259). Das Gleiche gilt für, ggf auch nur latent vorhandene, Belastungen (Hamm NJW-RR 98, 6).
Rn 10
Grds sind auch auf Dauer angelegte Einkommensveränderungen in der Trennungsphase prägend, da die Eheleute an der Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse grds bis zur Rechtskraft der Scheidung teilnehmen (BGH NJW 99, 717 [BGH 25.11.1998 - XII ZR 98/97]). Ausnahme hiervon wiederum bei unerwarteten, vom Normalverlauf erheblich abw Entwicklung der Einkommensverhältnisse in der Trennungsphase (BGH NJW 01, 3260 [BGH 27.06.2001 - XII ZR 135/99]) oder Entwicklungen, die nur wegen der Trennung eingetreten sind. Geht man mithin als vom Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils maßgeblichen Zeitpunkt für die Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse aus, müssen immer die Verhältnisse bei Trennung berücksichtigt werden, da prägend nur Einkünfte sein können, deren ›Wurzeln‹ im gemeinsamen Zusammenleben liegen (BGH NJW 84, 292 [BGH 23.11.1983 - IVb ZR 21/82]).
Rn 11
Surrogate, die an die Stelle von während der Ehe erzielten Einkünften getreten sind, prägen die ehelichen Lebensverhältnisse ebenfalls, unabhängig davon wann sie eingetreten sind. Entscheidend ist, dass eine während intakter Ehe vorhandene Einkommensquelle nach der Trennung oder Scheidung weggefallen ist und kausal an deren Stelle eine neue Einkommensquelle getreten ist. Ob das Surrogat höher ist als die weggefallenen Einkünfte spielt ebenso wenig eine Rolle...