1. Grundsätze der Mangelfallberechnung.
Rn 64
Bei der Mangelfallberechnung ist von dem für Unterhaltsleistungen zur Verfügung stehenden Einkommen des Unterhaltsverpflichteten zunächst der notwendige Selbstbehalt abzuziehen. Der Erwerbstätigenbonus ist bei der Leistungsfähigkeit nicht in Abzug zu bringen.
Anschließend ist der Restbetrag auf die Unterhaltsberechtigten angemessen zu verteilen.
Dies geschieht in der Weise, dass die Bedarfsbeträge aufgrund folgender Formel proportional zu kürzen sind:
Einsatzbetrag × Verteilungsmasse: Gesamtbedarf des Berechtigten
Die Verteilungsmasse ist bereits im ersten Rechenschritt ermittelt. Sie ergibt sich aus dem verbleibenden Einkommen des Unterhaltsverpflichteten nach Abzug seines Selbstbehalts.
Der Gesamtbedarf der Unterhaltsberechtigten ist die Summe der Einsatzbeträge.
2. Einsatzbeträge.
Rn 65
Einsatzbeträge sind die Beträge, mit denen die Unterhaltsverpflichtungen in die Mangelfallberechnung eingestellt werden. Sie entsprechen entweder den individuellen Bedarfsbeträgen oder den Mindestbedarfssätze An einem Mangelfall können entweder gleichrangige Ehegatten oder Berechtigte nach § 1615l beteiligt sein. Bei den Ehegatten muss zwischen den getrennt lebenden oder geschiedenen und den mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden unterschieden werden.
a) Einsatzbeträge für getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten.
Rn 66
Der Einsatzbetrag für den getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten richtet sich nach seinem Bedarf nach den individuellen ehelichen Lebensverhältnissen. Davon sind die bedarfsdeckenden Einkünfte in Abzug zu bringen. Der Restbedarf stellt den Einsatzbetrag dar.
Rn 67
Zu beachten sind allerdings die Mindestbedarfsätze iHd Existenzminimums von zZ 1.280,00 EUR bzw. 1.180,00 EUR. Diese stellen den Einsatzbetrag dar, wenn der tatsächliche Bedarf darunter liegt.
b) Einsatzbeträge für den mit dem Unterhaltspflichtigen zusammenlebenden Ehegatten.
Rn 68
Der Einsatzbetrag entspricht dem Familienunterhalt unter Berücksichtigung der eigenen Einkünfte. Auch hier sind Mindestbedarfsätze zu beachten. Bei der Berechnung des Mindestbedarfs sind die Vorteile des Zusammenlebens einzubeziehen. Diese betragen 10 % des Familieneinkommens. Da dem Pflichtigen 1.600 EUR verbleiben und der Mindestbedarf seines Ehegatten 1.180 EUR bei Nichterwerbstätigkeit beträgt, beläuft sich das Familieneinkommen auf 2.780 EUR. 10 % davon betragen 278 EUR. Diese sind von dem Mindestbedarf allerdings nicht in Abzug zu bringen, wenn dem Ehegatten nicht mehr als der Mindestbedarf eines mit dem pflichtigen Ehegatten zusammenlebenden Ehegatten verbleibt (BGH FamRZ 16, 887).
c) Einsatzbeträge für den Unterhaltsberechtigten nach § 1615l.
Rn 69
Der Einsatzbetrag des nach § 1615l Berechtigten richtet sich nach dessen Bedarf. Da über § 1615l III die Vorschriften über den Verwandtenunterhalt entsprechend anzuwenden sind, gilt § 1610. Danach bestimmt sich der Bedarf nach der Lebensstellung des Berechtigten. Auf die Lebensstellung des Pflichtigen kommt es nicht an. Ebenso wenig hat dieser Bedarf etwas mit dem Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen von Eheleuten zu tun. Daher kommt es ausschließlich auf die bis zur Geburt des Kindes nachhaltig erzielten Einkünfte des nach § 1615l Berechtigten an (BGH FamRZ 10, 357; 444). Darauf anzurechnen ist insbesondere das Elterngeld, soweit es nicht nach § 11 BEEG anrechnungsfrei ist.
Rn 70
Der BGH beschränkt allerdings den Bedarf auf den Halbteilungsgrundsatz. Nach seiner Auffassung darf der nach § 1615l Berechtigte mit eigenen Einkünften nicht mehr zur Verfügung haben, als dem Pflichtigen verbleibt (BGH FamRZ 10, 357; 444). Dieser Eingriff in den Bedarf kann nicht ohne Kritik bleiben. Zum einen ergibt sich die Beschränkung nicht aus dem Gesetz. § 1610 sieht einen derartigen Vorbehalt nicht vor. Zum anderen findet sie im Gesetz nicht einmal Anklang. Der Gesetzgeber hat vielmehr die Rechtsstellung des nach § 1615l Berechtigten mit der Unterhaltsreform verbessert, indem er diesen auf den zweiten Rang angehoben hat, nachdem er bis dahin mit seinem Unterhaltsanspruch den dritten Rang bekleidete. Schließlich führt diese Begrenzung auf der Bedarfsebene auch zu unangemessenen, teils nicht nachvollziehbaren Ergebnissen, vor allem bei Vorliegen eines Mangelfalles. Im Mangelfall führt die Bedarfsdeckelung zu einem geringeren Einsatzbetrag, obwohl der nach § 1615l Berechtigte im Ergebnis nach Durchführung der Mangelfallberechnung weniger erhält, als dem Pflichtigen verbleibt. Aus welchem Grunde in einem solchen Fall schon der Bedarf begrenzt werden soll, wenn die Rechtfertigung dafür im Ergebnis gar nicht eintritt, ist nicht nachvollziehbar. An eine Berücksichtigung des Halbteilungsgrundsatzes könnte daher allenfalls bei der Leistungsfähigkeit gedacht werden. Beim Erfordernis einer Mangelfallberechnung kann der Bedarf eines nach § 1615l Berechtigten niemals über 1.280 EUR liegen, da dem Pflichtigen wegen seines Selbstbehalts genau dieser Betrag seines Einkommens verbleibt. Beschränkt man den an sich höheren Bedarf des Berechtigten nach § 1615l, wird er wegen des geringeren Einsatzbetrages in der Mangelfallberechnung ggü dem Ehegatten benachteiligt. Gleichwohl erhält der nach § 1615l Berechtigte aus der Mangelfallberechnung weniger als dem Pflich...