Rn 17
Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs, der regelmäßig, jedenfalls während eines längeren Zeitraums, anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit Regelsätzen nicht erfasst werden kann, aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (BGH FamRZ 06, 612). Auf die Regelmäßigkeit stellt der BGH wieder ab (MDR 23, 1592), nachdem er in den letzten Entscheidungen die Vorhersehbarkeit als maßgeblich vorausgesetzt hat (zB BGH FamRZ 22, 1366).
Rn 18
Mehrbedarf kann entstehen als krankheitsbedingter Mehrbedarf bei Körper- oder Gesundheitsschäden, wenn diese besondere Kosten, zB für Therapiemaßnahmen, eine besondere Diät, Medikamente oder sonstige Hilfsmittel, auslösen (BGH FamRZ 86, 661; Ddorf FamRZ 01, 444). Er kann entstehen als behinderungsbedingter Mehraufwand, etwa durch behinderungsgerechte Ausstattung der Wohnung, mobile Pflegedienste, Mehraufwand für Kleidung, Hilfsmittel, wie Rollstuhl oder Sonderschulunterricht (BGH FamRZ 83, 48). Es kann auch ausbildungsbedingter Mehrbedarf entstehen, zB regelmäßiger Nachhilfeunterricht (Ddorf FUR 05, 565, wobei zu prüfen ist, ob der Mehrbedarf bei hohen Einkommensgruppen – etwa 6. EG – im Tabellenunterhalt enthalten ist), für Privatschulbesuch (BGH FamRZ 83, 48), Sport- oder Musikunterricht, nicht aber als Beitrag für den Ganztagskindergarten (Nürnbg FuR 05, 571). Ob laufende Kindergartenkosten Mehrbedarf auslösen oder bereits in den Tabellenbeträgen der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind, ist umstritten (BGH NJW 07, 1969; Nürnbg aaO bejahend; Bamberg FF 00, 142: ab 6. EG; Stuttg FamRZ 99, 884: immer Mehrbedarf).
Rn 19
An dem Mehrbedarf haben sich beide Eltern zu beteiligen, auch der betreuende Elternteil, weil das Gleichgewicht des Verteilungsschlüssels gem § 1606 Abs 3 S 2 nicht mehr gewahrt ist. Es bietet sich an, die Haftungsanteile entspr dem Volljährigenunterhalt zu berechnen. Abzuziehen ist als Sockelbetrag der angemessene Selbstbehalt und etwaige Kindesunterhaltszahlungen (BGH FamRZ 13, 1563), wobei auch der von dem betreuenden Elternteil zu erbringende Anteil zur vollständigen Abdeckung des nach dem beiderseitigen Einkommen der Eltern berechneten Barbedarfs des Kindes zu berücksichtigen ist (BGH FamRZ 22, 1366). Zu berücksichtigen ist aber iR einer umfassenden Billigkeitsprüfung ein bestehendes Einkommensgefälle zwischen den Eltern unter Bezug auf die Rspr des BGH zur alleinigen Barunterhaltspflicht des betreuenden Elternteils für den Fall, dass der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt (BGH MDR 23, 1592 [BGH 20.09.2023 - XII ZB 177/22]).
Rn 20
Der Mehrbedarf ist mit dem Abänderungsverfahren geltend zu machen, weil er ein unselbstständiger Bestandteil des Unterhaltsanspruchs ist. Es müssen die Voraussetzungen des § 1613 Abs 1 für die Geltendmachung von Unterhalt in der Vergangenheit vorliegen, wenn rückwirkend Mehrbedarf verlangt wird.
Rn 21
Als Besonderheiten des Mehrbedarfs sind unbedingt zu beachten:
- Der Mehrbedarf ist mit dem Abänderungsantrag geltend zu machen, weil er ein unselbstständiger Bestandteil des Unterhaltsanspruchs ist.
- Es müssen die Voraussetzungen des § 1613 Abs 1 für die Geltendmachung von Unterhalt in der Vergangenheit vorliegen, wenn rückwirkend Mehrbedarf verlangt wird.
- Der Mehrbedarf muss im Hinblick auf die finanziellen Verhältnisse des Pflichtigen und die Bedürfnislage des Berechtigten angemessen sein.
- Die Begründung des Mehrbedarfs muss der sorgerechtlichen Befugnis des betreuenden Elternteils entsprechen. Ist ein Elternteil allein sorgeberechtigt (oder ist ihm die Entscheidung einer Angelegenheit nach § 1628 vom Familiengericht übertragen worden), so bestimmt er – vorbehaltlich einer Angemessenheitskontrolle im Einzelfall – grds über die Art und Kosten der einzelnen Maßnahme allein. Sind die Eltern – wie im vorliegenden Fall – gemeinsam sorgeberechtigt, kommt es nach § 1687 Abs 1 darauf an, ob es sich bei der betreffenden (kostenauslösenden) Maßnahme um eine solche mit erheblicher Bedeutung für das Kind handelt oder um eine Angelegenheit des täglichen Lebens. Im ersten Fall bedarf es des gegenseitigen Einvernehmens der Eltern (§ 1687 Abs 1 S 1). Fehlt es hieran, sind die entstehenden Kosten grds kein angemessener Unterhaltsbedarf des Kindes. Etwas anderes kann gelten, wenn sich die Zustimmungsverweigerung des mitsorgeberechtigten Elternteils als rechtsmissbräuchlich erweist (BGH FamRZ 23, 1592).
Rn 22
Fehlerhaft ist es, den Mehrbedarf insg als Abzugsposten bei der Berechnung des Ehegattenunterhalts einzustellen, da nur der Teil in Ansatz gebracht werden darf, der auf den Pflichtigen oder Berechtigten entfällt. Bei der Berechnung der Haftungsquoten ist auch der abfließende und zuwachsende Ehegattenunterhalt zu berücksichtigen, sodass sich wegen gleicher Haftungsanteile häufig keine Auswirkungen beim Ehegattenunterhalt ergeben.
Rn 23