Gesetzestext
(1) 1Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. 2Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 sind auf die Unterhaltspflicht von Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nicht anzuwenden.
(3) Der Bedürftige kann wegen einer nach diesen Vorschriften eintretenden Beschränkung seines Anspruchs nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen.
A. Anwendungsbereich.
Rn 1
Die Vorschrift findet Anwendung auf Unterhaltsansprüche aller Verwandter mit Ausn minderjähriger Kinder. Sie gilt insbes auch für die privilegierten volljährigen Kinder. Abzustellen ist dabei auf die die Verwirkung rechtfertigende Handlung. Handlungen eines Minderjährigen können ihn auch nach Eintritt der Volljährigkeit nicht zugerechnet werden, wenn er noch unterhaltsbedürftig ist.
B. Bedürftigkeit durch sittliches Verschulden.
Rn 2
Hat der Unterhaltsberechtigte seine Bedürftigkeit ganz oder teilweise selbst herbeigeführt, hängt die Verwirkung davon ab, ob sittliches Verschulden gegeben ist. Hierbei handelt es sich um Vorwerfbarkeit von erheblichem Gewicht (BGH FamRZ 85, 273). Dies kann insbes bei Rauschgift- und/oder Alkoholsucht gegeben sein (Celle FamRZ 90, 1142). Ist die Sucht jedoch als Krankheit anzusehen, kommt die Verwirkung nur in Betracht, wenn das Kind sich weigert, sich einer Therapiemaßnahme zu unterziehen. Wenn zwischen Lebenswandel und Bedürftigkeit kein Zusammenhang besteht, liegt sittliches Verschulden nicht vor (Köln FamRZ 90, 310).
C. Grobe Vernachlässigung der eigenen Unterhaltsverpflichtung ggü dem Unterhaltspflichtigen.
Rn 3
Dieser Tatbestand ist gegeben, wenn der nunmehr Bedürftige ggü dem jetzt Unterhaltsverpflichteten in der Vergangenheit seinerseits unterhaltspflichtig war und sich dieser Unterhaltsverpflichtung entzogen hat. Dieser Verwirkungsunterhalt hat praktisch nur beim Elternunterhalt Relevanz. Eine Vernachlässigung muss sich nicht auf den Barunterhalt beschränken, sondern kann sich auch auf den Betreuungsunterhalt beziehen (BGH FamRZ 04, 1559).
D. Schwere Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen.
Rn 4
Erforderlich ist ein schwerer Schuldvorwurf (BGH FamRZ 95, 475). Dies kommt in Betracht bei tief greifenden Kränkungen, die einen groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung und menschlicher Rücksichtnahme erkennen lassen, zB bei tätlichen Angriffen, Bedrohungen, wiederholten groben Beleidigungen oder Denunziationen zum Zwecke der beruflichen oder wirtschaftlichen Schädigung des Unterhaltspflichtigen (Celle FamRZ 93, 1235; München FamRZ 92, 597). Auch das Verschweigen von anzurechnenden Einkünften kann ebenso ausreichen wie die Ablehnung jeder persönlichen Kontaktaufnahme, wenn sie begleitet wird von besonders beleidigendem oder verletzendem Verhalten des Unterhaltsberechtigten (BGH FamRZ 95, 475). Dies gilt nicht beim Elternunterhalt, wenn der bedürftige Elternteil den Kontakt abgebrochen hat, insbesondere dann nicht, wenn sich der Elternteil in den Lebensjahren des Kindes, in dieses besonders auf Unterstützung der Eltern angewiesen ist, um das Kind gekümmert hat (BGH FamRZ 14, 541: Kontaktabbruch bei Scheidungskind im 19. Lebensjahr). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, ob der Unterhaltsverpflichtete dem Volljährigen als Kind die notwendige Zuwendung versagt oder sich schwerer Verfehlungen ggü dem anderen Elternteil schuldig gemacht hat (München FamRZ 92, 595; aaO Bambg FamRZ 92, 717).
E. Verschulden.
Rn 5
Verwirkung kommt nur bei Verschulden in Betracht (BGH FamRZ 04, 1097; FuR 11, 49). Dies gilt auch für die Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflichten ggü dem Pflichtigen.
F. Billigkeitserwägungen.
Rn 6
Ein völliger Wegfall der Unterhaltsverpflichtung kommt gem Abs 1 S 2 nur dann in Betracht, wenn die Inanspruchnahme des Pflichtigen grob unbillig wäre. Das setzt ein erhebliches sittenwidriges Verschulden oder eine so schwer wiegende Verfehlung voraus, dass selbst die Zahlung eines geringfügigen Unterhalts der Gerechtigkeit in unerträglicher Weise widersprechen würde. Abzuwägen sind insbes die Schwere der Verfehlung, die wirtschaftliche Lage des Unterhaltsverpflichteten sowie eigene Verfehlungen des Unterhaltsverpflichteten zB in der Erziehung (BGH FamRZ 95, 475).
G. Wiederaufleben der Unterhaltsverpflichtung.
Rn 7
Die weggefallene Unterhaltsverpflichtung kann wieder aufleben, wenn die Voraussetzungen der Unterhaltsbeschränkung entfallen sind. Das Unterhaltsrechtsverhältnis besteht trotz der Verwirkung fort. Ein Wiederaufleben kann gegeben sein bei Alkoholsucht, wenn diese erfolgreich bekämpft wird und die Bedürftigkeit später nicht mehr im Zusammenhang damit steht (Göppinger/Wax/Stöckle Rz 1504).
H. Ausschluss des Anspruchsübergangs auf den Sozialhilfeträger.
Rn 8
Der Anspruchsübergang nach § 94 III 1 Nr 2 SGB XII ist bei unbilliger Härte ausgeschlossen. Dies richtet sich nach öffentlichem Recht. Eine an sich unter § 1611 zu subsumierende Fallkonstellation, di...