I. Alleinvertretung in Unterhaltssachen, Abs 2 S 2.
Rn 15
Unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht, ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge gem II 2 der Elternteil zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen berechtigt, in dessen alleiniger Obhut sich das Kind befindet. Entscheidend sind die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse (Bambg FamRZ 85, 632; Nürnbg FamRZ 19, 295). (Alleinige) Obhut hat der Elternteil bei dem der Schwerpunkt tatsächlicher Fürsorge liegt, das ist derjenige, der sich vor dem anderen des Wohls des Kindes annimmt (BGH FamRZ 06, 1015, 1016; Brandbg FamRZ 09, 1228; Stuttg FamRZ 95, 1168; Ddorf FamRZ 92, 575); leichtes Übergewicht der tatsächlichen Fürsorge genügt nicht, wenn das Kind ansonsten im Internat lebt (Brandbg FamRZ 2016, 246). Dies kann auch bei Getrenntleben der Eltern innerhalb einer Wohnung der Fall sein, insb wenn ein Elternteil voll und der andere nicht oder nur teilweise erwerbstätig ist (Ddorf FamRZ 88, 1092). Auch wenn das Kind in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht ist, kann derjenige Elternteil, der sich um das Wohl des Kindes kümmert, regelmäßig Kontakte zu ihm hält und für seinen Unterhalt aufkommt, Inhaber der Obhut iSd II 2 sein (Brandbg FamRZ 09, 1228; Ddorf FamRZ 20, 343). Ein längerer Ferienaufenthalt bei dem Umgangselternteil begründet noch kein Obhutsverhältnis (Köln FamRZ 05, 1852). Lässt sich nicht feststellen, bei welchem Elternteil der Schwerpunkt der Fürsorge liegt, kommt nur ein Antrag gem § 1628 oder die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem §§ 1666, 1693, 1697 in Betracht (BGH NJW 06, 2258 [BGH 21.12.2005 - XII ZR 126/03]; Brandbg FamRZ 20, 344 22, 1929: Übertragung gem § 1628 vorzugswürdig; J/H/A/Lack § 1629 Rz 13; aA Celle FamRZ 19, 40; Stuttg FamRZ 23, 1204: nur Ergänzungspfleger). Dies ist insb beim sog ›Wechselmodell‹ der Fall, bei dem sich die Eltern darauf geeinigt haben, dass das Kind einen Teil der Woche beim Vater, den anderen bei der Mutter verbringt (München FamRZ 03, 248; Hambg FamRZ 15, 416; Celle FamRZ 15, 590 mAnm Spangenberg FamRZ 15, 1210; Celle FamRZ 19, 40). Es genügt aber ein eindeutig feststellbares, nicht notwendig großes Übergewicht der tatsächlichen Fürsorge (Karlsr FamRZ 15, 423: 14 Stunden pro Tag; aA Köln FamRZ 15, 859: deutlicher Schwerpunkt erforderlich, 57 % genügen nicht). Bei einem Obhutswechsel entfällt die Verfahrensführungsbefugnis rückwirkend (Kobl FamRZ 15, 1902; Karlsr FamRZ 21, 360).
Rn 16
Die Vertretungsmacht ist auf die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegen den anderen Ehegatten beschränkt. Sie umfasst die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung. Bei der außergerichtlichen Vertretung muss der Elternteil im Namen des Kindes handeln; für die gerichtliche Vertretung gilt dasselbe, wenn nicht III eingreift. Über den Wortlaut des II 2 hinaus, vertritt der Elternteil das Kind gerichtlich und außergerichtlich auch dann, wenn der andere Elternteil Ansprüche gegen das Kind im Zusammenhang mit der bestehenden Kindesunterhaltspflicht geltend macht, insb die Abänderung eines Titels verlangt (vgl J/H/A/Lack § 1629 Rz 15). Keine Vertretungsmacht besteht für die Rückübertragung von Unterhaltsansprüchen iSv § 33 IV 1 SGB II (BGH FamRZ 20, 991).
II. Gesetzliche Verfahrensstandschaft und Wirkungen, Abs 3.
1.
Rn 17
Um dem ehelichen (lebenspartnerschaftlichen) Kind Konflikte zu ersparen und es nicht am Scheidungsverbundverfahren seiner Eltern beteiligen zu müssen, trifft III 1 für verheiratete Eltern, die getrennt leben (oder zwischen denen eine Ehesache anhängig ist) eine Sonderregelung für die gerichtliche Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegen einen Elternteil: Der Elternteil muss den Kindesunterhalt zwingend im eigenen Namen für das Kind geltend machen. Dies gilt auch, wenn eine Beistandschaft besteht; §§ 1712 ff werden verdrängt (Oldbg FamRZ 14, 1652; Celle NJW-RR 12, 1409; Hamm FamRZ 15, 422; AG Regensburg JAmt 03, 366; aA Schlesw FamRZ 14, 1712; Stuttg JAmt 07, 40).
Rn 18
Diese Form der gesetzlichen Verfahrensstandschaft setzt notwendigerweise voraus, dass der antragstellende Elternteil die alleinige Vertretungsmacht für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes gegen den anderen Elternteil hat, weil ihm andernfalls die Aktivlegitimation fehlt. Die Vertretungsmacht kann auf (zumindest insoweit) bestehender Alleinsorge oder auf Kindesobhut bei gemeinsamer Sorge gem II 2 beruhen.
Rn 19
Die Eltern müssen iSd § 1567 I getrennt leben, aber noch verheiratet oder verpartnert sein. Dem steht es gleich, dass eine Ehesache oder Lebenspartnerschaftssache zwischen ihnen anhängig ist. Die Regelung gilt nicht für geschiedene oder unverheiratete (unverpartnerte) Eltern.
Rn 20
Die Verfahrensstandschaft ist nicht auf das Scheidungsverbundverfahren beschränkt, sondern gilt für alle Kindesunterhaltsverfahren (BGH FamRZ 83, 474) einschl einstweiliger Anordnungen und über den Wortlaut des III 1 hinaus auch für Passivverfahren betr den Kindesunterhalt (zB Abänderungsanträge, negative Feststellungsanträge) und für das vereinfachte Unterhaltsverfahren (Karlsr FamRZ 13, 1501;...