Rn 9
In materieller Hinsicht setzt eine Verbleibensanordnung gem IV 1 voraus, dass durch das Herausgabeverlangen das Wohl des Kindes iSv § 1666 I gefährdet wird (BayObLG FamRZ 91, 1080; Frankf FamRZ 09, 1499, 1500; 11, 382; 15, 2172; KG FamRZ 11, 1667; Brandbg FamRZ 23, 1544). Ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und muss idR mit Hilfe eines kinderpsychologischen Gutachtens geklärt werden (BayObLG FamRZ 91, 1080; Köln FamRZ 09, 989; Frankf FamRZ 14, 1787). Entscheidend ist dabei insb, wie starke Bindungen des Kindes zur Pflegeperson bestehen. Es kann aus kinderpsychologischer Sicht als gesichert angesehen werden, dass die Trennung eines Kleinkinds von einer Bezugsperson eine erhebliche psychische Belastung für das Kind darstellt und mit einem schwer bestimmbaren Zukunftsrisiko verbunden ist (BayObLG FamRZ 91, 1080). Dabei ist nicht notwendigerweise allein auf die Pflegeperson abzustellen. Die Bezugswelt des Kindes wird auch durch die Beziehung zu Geschwistern oder Spielkameraden bestimmt (BayObLG FamRZ 91, 1080; Celle FamRZ 90, 191). Zum andern entspricht es aber auch dem Kindeswohl, eine Verfestigung des Pflegeverhältnisses zu vermeiden, wenn dies zu einer Entfremdung des Kindes zu seiner Herkunftsfamilie führt und eine Rückführung dadurch erheblich erschwert wird (Karlsr FamRZ 06, 1501, 1502). Denn die Inpflegenahme hat grds vorübergehenden Charakter, weshalb eine unumkehrbare Entwicklung zu einem endg Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie vermieden werden muss (EGMR FamRZ 02, 1393, 1397; BVerfG FamRZ 23, 280; vgl auch Köln FamRZ 08, 808; Hamm FamRZ 11, 826). Dennoch kann bei starken Bindungen des Kindes an die Pflegeeltern im Einzelfall auch eine unbefristete Verbleibensanordnung geboten sein (Brandbg FamRZ 09, 61, 62); sie unterliegt aber den Voraussetzungen des neu eingefügten S 2.
Rn 10
Befindet sich ein Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und ist als Folge hiervon eine gewachsene Bindung zu den Pflegeeltern entstanden, dann steht auch die Pflegefamilie unter dem vom GG garantierten Schutz der Familie (BayObLG NJW 88, 2381). Grds hat demgegenüber aber das Erziehungsrecht der Eltern den Vorrang (BayObLG NJW 88, 2381). Deshalb führt allein der Umstand, dass es dem Kind bei den Pflegeeltern gut geht, noch nicht zu einer Verbleibensanordnung (vgl BayObLG FamRZ 78, 135; KG FamRZ 11, 1667), selbst wenn es dem Willen des 15-jährigen Kindes entspräche (Zweibr FamRZ 11, 571; Köln FamRZ 17, 290); ebenso wenig ein bereits langer Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie (Stuttg FamRZ 14, 320), insb nicht, wenn Pflegemutter Loyalitätskonflikt zu verantworten hat (Köln FamRZ 17, 290). Ein drohender Beziehungsabbruch zur Pflegefamilie beeinträchtigt zwar stets das Kindeswohl, was jedoch nicht generell dazu führen darf, dass ein Wechsel immer dann ausgeschlossen ist, wenn das Kind in den Pflegepersonen die ›sozialen‹ Eltern gefunden hat (Köln FamRZ 18, 1915). Nur wenn durch die Herausgabe an die Eltern eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen und seelischen Wohlbefindens des Kindes zu erwarten ist, tritt das Elternrecht zurück, so dass eine Verbleibensanordnung ergehen kann (BVerfG FamRZ 85, 39, 42; 06, 1593, 1594). Bei aller Betonung des Elternrechts darf freilich nicht außer Acht gelassen werden, dass letztlich dem Kindeswohl die entscheidende Bedeutung zukommt (vgl BVerfG FamRZ 10, 865; Heilmann FamRZ 10, 41 zu Fehltendenzen infolge einseitiger Deutung der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen). Die Risikogrenze hinsichtlich der Prognose möglicher Beeinträchtigungen des Kindes ist dann überschritten, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann (BVerfG FamRZ 10, 865; Hamm FamRZ 13, 1228). Beabsichtigt das Jugendamt nur einen Wechsel der Pflegeperson, muss ein psychischer oder physischer Schaden für das Kindswohl mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sein (BVerfG FamRZ 87, 786, 790; Karlsr FamRZ 06, 1501, 1502); es muss nicht festgestellt werden, dass in der bisherigen Pflegefamilie eine konkrete Kindeswohlgefährdung vorliegt (BVerfG FamRZ 23, 1714).
Rn 11
Im Verhältnis zu § 1666 ist die Verbleibensanordnung als milderes Mittel vorrangig (BVerfG FamRZ 20, 422; Hamm FamRZ 10, 2083). Das Gericht muss daher im Einzelnen erwägen und darlegen, aus welchen Gründen es die angenommene Gefahr für die Entwicklung des Kindes nur durch den Entzug des Sorgerechts für abwendbar gehalten hat (BVerfG FamRZ 89, 145). Das dem Kindeswohl zuwiderlaufende Herausgabeverlangen der Eltern iVm ständigen Beunruhigungen des Kindes und Störungen des intakten Pflegeverhältnisses kann aber die Entziehung der elterlichen Sorge rechtfertigen, wenn dies als das einzige Mittel erscheint, um das Kind vor erheblichen Beeinträchtigungen seines Wohls zu bewahren (Bambg DAVorm 87, 664, Frankf 09, 990, 991f). Zum Verhältnis zur Inobhutnahme vgl Stuttg FamRZ 22, ...