Rn 50
Die Vertretungsmacht kann auf Gesetz, Rechtsgeschäft oder einer Organstellung beruhen (Staud/Schilken Rz 8).
a) Gesetzliche Vertretungsmacht.
Rn 51
Das Gesetz ordnet die gesetzliche Vertretung dort an, wo der Vertretene nicht voll geschäftsfähig oder aus sonstigen Gründen nicht in der Lage ist, seine eigenen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln. In diesen Fällen soll die gesetzliche Vertretung dem Vertretenen die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen. Hauptanwendungsfall ist die gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern für ihr Kind, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§ 1629). Gesetzliche Vertreter sind auch der Vormund (§ 1793 aF, ab 1.1.23 § 1789 II), der Betreuer (§ 1902 aF, ab 1.1.23 § 1823), der Pfleger (§§ 1915, 1793 aF, ab 1.1.23 §§ 1813, 1789 II), der Nachlasspfleger (§§ 1960 II iVm §§ 1915 I, 1793 aF, ab 1.1.23 §§ 1813, 1789 II) sowie der Prozesspfleger (§§ 57, 58 ZPO), bei denen es für die Begründung der Vertretungsmacht eines zusätzlichen Staatsaktes bedarf und die Vertretungsmacht daher nur mittelbar auf dem Gesetz beruht.
b) Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht).
Rn 52
Rechtsgrund der gewillkürten Stellvertretung ist die in § 166 II legal definierte Vollmacht, die eine Arbeitsteilung in der Rechtssphäre des Vertretenen ermöglichen soll (MüKo/Schubert Rz 1). Zur Erteilung, zum Erlöschen und Fortwirken der Vollmacht s §§ 167 ff. Spezielle Regelungen enthalten die §§ 48 ff HGB (Prokura); §§ 81 ff ZPO (Prozessvollmacht).
c) Organschaftliche Vertretungsmacht.
aa) Dogmatische Grundlagen.
Rn 53
Die organschaftliche Vertretung beruht darauf, dass juristische Personen selbst nicht handlungsfähig und daher auf das Handeln ihrer Organe, dh von Personen angewiesen sind, die befugt sind, den Willen der juristischen Person zu bilden. Die organschaftliche Vertretung ist nach der Formulierung des § 26 II 1 als dritte eigenständige Kategorie der Stellvertretung der gesetzlichen Vertretung gleichgestellt (Bork Rz 1433; aA für eine grds Unterscheidung von Organschaft und Stellvertretung Beuthien NJW 99, 1142 ff). Nach der Organtheorie wird der juristischen Person die Willenserklärung ihres Organs aber nicht als eine fremde Erklärung zugerechnet, sie erfüllt durch das Organhandeln vielmehr selbst den rechtsgeschäftlichen Tatbestand (Bork Rz 1433; hM). Dagegen ist die Vertretung der juristischen Person durch das Organ nach der Vertretertheorie in gleicher Weise Stellvertretung wie das Stellvertreterhandeln des gesetzlichen Vertreters oder des Bevollmächtigten (Flume I/2 § 11 I). Zur Kritik an der Organtheorie iRd Wissenszurechnung s § 166 Rn 23.
bb) Anwendungsbereich.
Rn 54
Organe sind der Vorstand des rechtsfähigen Vereins (§ 26 II), der Stiftung (§ 86 aF, ab 1.7.23 § 84 II), der Genossenschaft (§ 24 I GenG) und der AG (§ 78 AktG) sowie der Geschäftsführer der GmbH (§ 35 GmbHG). Zu den Organen der juristischen Personen des Öffentlichen Rechts s Staud/Schilken Vorbem zu §§ 164 Rz 27 ff. Um Organschaft handelt es sich auch bei der Vertretung der OHG und der KG durch die persönlich haftenden Gesellschafter gem § 124 HGB (BGHZ 64, 72, 75) und bei der Vertretung der Partnerschaftsgesellschaft gem § 7 III PartGG (Medicus/Petersen Rz 926). Ursprünglich sah man die Vertretung einer GbR durch die Gesellschafter nicht als organschaftliche Vertretung, sondern als einen Spezialfall der rechtsgeschäftlich erteilten Vertretungsmacht an (BGHZ 74, 240, 241). Nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR durch den BGH (BGHZ 146, 341) sind die vertretungsberechtigten Gesellschafter der GbR als Organ der Gesellschaft iSv § 31 anzusehen. Ab 1.1.24 ergibt sich die Rechtsfähigkeit der GbR und ihre gesetzliche Vertretung aus §§ 705 II, 720 I, III. Auch der WEG-Verwalter ist im Umfang seiner Vertretungsmacht das vertretungsberechtigte Fremdorgan der in BGHZ 163, 154 ebenfalls als teilrechtsfähig angesehenen Wohnungseigentümergemeinschaft (BGHZ 200, 195 Rz 16; MüKo/Schubert Rz 10).
cc) Strukturelle Besonderheiten.
Rn 55
IGgs zur gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Stellvertretung bedarf es zur Begründung der organschaftlichen Vertretungsmacht eines gesellschaftsrechtlichen Bestellungsaktes (§§ 27 I; 84 AktG; 46 Nr 5 GmbHG), durch den der Vertreter in die Organstellung berufen wird (Neuner AT § 46 Rz 30). Eine weitere Besonderheit der Organschaft besteht darin, dass sie außer der Zurechnung von Willenserklärungen auch die Zurechnung von zum Schadensersatz verpflichtenden Handlungen gem § 31 umfasst (Medicus/Petersen AT Rz 926). Strukturelle Unterschiede ggü der gesetzlichen und der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht bestehen zudem im Hinblick auf die Beschränkbarkeit der Vertretungsmacht (Staud/Schilken Vorbem zu §§ 164 Rz 25). Zur Zurechnungstechnik nach der Organtheorie s Rn 53.