I. Eigene Willenserklärung des Stellvertreters.
1. Anwendungsbereich der §§ 164 ff.
Rn 28
Die §§ 164 ff gelten unmittelbar nur für Willenserklärungen iSd §§ 116 ff. Auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen finden sie entspr Anwendung (BGH MMR 21, 477 Rz 17). Das gilt insb für die Mahnung (§ 286 I), die Aufforderung zur Genehmigung (§§ 108 II, 177 II), die Fristsetzung (§§ 250 1, 281 I 1, 323 I 1, 637 I), die Mängelanzeige, die Ablehnungsandrohung (§§ 250, 326 I 1 aF), das Anerkenntnis (§ 212 I Nr 1), Mitteilungen (§§ 171, 172, 415 I 2), Anzeigen (§§ 170, 409, 663, 665, 692 2, 789), die wettbewerbsrechtliche Abmahnung (BGH MMR 21, 477 [BGH 21.01.2021 - I ZR 17/18] Rz 17) und Wissenserklärungen (MüKo/Schubert Rz 89). Nicht anwendbar sind die §§ 164 ff nach hM auf Realakte wie den Erwerb und Verlust des unmittelbaren Besitzes außer im Falle des § 854 II, die Verarbeitung und Verbindung wie auch die Aneignung und den Fund (BGHZ 32, 53, 56). Auf schuldhaftes Vertreterhandeln bei der Anbahnung (§ 311 II) oder der Durchführung des Vertrages (§ 280 I) und im Bereich der unerlaubten Handlungen finden die §§ 164 ff ebenfalls keine Anwendung; hier gelten vielmehr die §§ 123, 278, 831, 31, 89 (MüKo/Schubert Rz 91). In Abgrenzung sowohl von der Botenschaft (Rn 19) als auch zum Vermittler und Verhandlungsführer oder -gehilfen (Rn 23) muss der Stellvertreter eine eigene Willenserklärung abgeben.
2. Wirksamwerden der Erklärung in der Person des Vertreters.
Rn 29
Weil nach dem Repräsentationsprinzip (Rn 1) allein der Vertreter den rechtsgeschäftlichen Willen bildet, ist seine Person maßgeblich für den Inhalt und die Wirksamkeit der Willenserklärung. IGgs zum Erklärungsboten (s § 130 Rn 18) bewirkt der Erklärungsvertreter (I 1) nicht nur den Zugang der Erklärung, sondern gibt sie auch ab. Die einem Empfangsvertreter ggü abgegebene Erklärung geht dem von ihm vertretenen Erklärungsempfänger gem I 1, 3 sofort zu. Die für die Weiterleitung an den Vertretenen benötigte Zeit ist unerheblich (BGH NJW 02, 1041, 1042 [BGH 28.11.2001 - VIII ZR 38/01]; Bork Rz 1365 ff). Für den Willensinhalt und für Willensmängel (§§ 116 ff) einer Erklärung gilt bei der Stellvertretung § 166. Zur Anfechtungsbefugnis und zum Widerrufsrecht des Vertretenen s Rn 76. Ist das Rechtsgeschäft formbedürftig, muss die Erklärung des Vertreters der Form genügen. Auch für die Geschäftsfähigkeit und die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 105 II ist die Person des Vertreters maßgeblich. Nach § 165 genügt jedoch die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Vertreters (§ 106), während die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen unerheblich für die Wirksamkeit des Vertretergeschäftes ist, sondern nur Einfluss auf die Vollmacht hat (s § 167 Rn 19).
II. Handeln in fremdem Namen des Vertretenen (Offenkundigkeitsprinzip).
Rn 30
Der Vertreter muss gem I 1 im Namen des Vertretenen handeln, wenn die Rechtsfolgen nicht bei ihm selbst, sondern in der Person des Vertretenen eintreten sollen. Die direkte Stellvertretung bedarf daher der Offenlegung. Das Offenkundigkeitsprinzip dient im Stellvertretungsrecht in erster Linie dem Schutz des Vertragspartners, daneben aber auch dem Bedürfnis des allg Rechtsverkehrs nach einer Klarstellung der Rechtsverhältnisse und einer eindeutigen Zuordnung von Rechten und Pflichten (MüKo/Schubert Rz 107). Eine Willenserklärung kann zugleich in eigenem und fremdem Namen abgegeben werden (BGH WM 13, 859 Rz 11; NJW 09, 3506 Rz 12). Zum Offenkundigkeitsprinzip bei der passiven Stellvertretung s Rn 83.
1. Abgrenzung zum Eigengeschäft des Vertreters.
a) Allg Auslegungsgrundsätze.
Rn 31
Ob der Erklärende in eigenem oder fremdem Namen handelt, ist in Zweifelfällen durch Auslegung vom Empfängerhorizont zu ermitteln (BGHZ 125, 175, 178). Für die Auslegung gelten die Grundsätze der §§ 133, 157 u I 2. Hiernach muss die Erklärung nicht ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgen, es genügt vielmehr, wenn sich die Stellvertretung aus den Umständen ergibt (BGH NJW 14, 1803 [BGH 02.04.2014 - VIII ZR 231/13] Rz 14). Entscheidend ist die objektivierte Empfängersicht; ferner sind alle Umstände zu berücksichtigen, die zum Vertragsschluss geführt haben (BGH NJW-RR 21, 1223 [BGH 10.06.2021 - III ZR 38/20] Rz 14), wie etwa früheres Verhalten, Zeit und Ort der Erklärung, die soziale und berufliche Stellung der Beteiligten, die zugrunde liegenden Lebensverhältnisse, sowie die erkennbare Interessenlage und Verkehrssitte (MüKo/Schubert Rz 109). Auch nachträgliches Verhalten der Parteien ist in dem Sinne zu berücksichtigen, dass es Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und das tatsächliche Verständnis der am Rechtsgeschäft Beteiligten zulassen kann (BGH ZfBR 12, 128 Rz 9). Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, wird der Erklärende nach II selbst berechtigt und verpflichtet. Stimmen Erklärender (Vertreter) und Vertragspartner jedoch darüber überein, dass der Erklärende in fremdem Namen auftritt, liegt ein Vertretungsfall vor, selbst wenn er für einen außen stehenden Dritten nicht erkennbar ist. Umgekehrt liegt ein Eigengeschäft vor, wenn Vertreter und Vertragspartner übereinstimmend ein solches abschließen wollen. In diesen Fällen hat die an dem wirklichen Willen orientierte natürliche Auslegung Vorrang vor dem objektiven Erklärungswert (Bo...