Rn 13
Der Vorschrift in Abs 1 ist nach hM der allg Rechtsgedanke zu entnehmen, dass derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Aufgaben in eigener Verantwortung betraut, sich – unabhängig von einem Vertretungsverhältnis – das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss (BGH ZIP 23, 2241; BGH NZI 23, 827; BGH NJW-RR 21, 1068 Rz 19; NJW 16, 3445 Rz 61; 14, 2861 Rz 13). Die Anwendung des Abs 1 erstreckt sich daher analog auf den der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung vergleichbaren Tatbestand der Wissensvertretung (BGH ZIP 23, 2241; NJW-RR 21, 1068 Rz 19; NJW 16, 3445 Rz 61; BGHZ 135, 202, 205). Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn – ggf auch ohne (wirksame) rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht – dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und dabei anfallende Informationen zur Kenntnis zu nehmen und ggf weiterzuleiten (BGH ZIP 23, 2241; NZI 23, 827 mAnm Zuleger; NJW-RR 21, 1068 Rz 19; ZIP 19, 35 Rz 13; NJW 14, 2861 Rz 13; WM 13, 924 Rz 25; NJW-RR 04, 1196, 1197 f; BGHZ 132, 30, 35). Der Geschäftsherr muss sich seiner wie eines Vertreters bedienen (BGHZ 117, 104, 107). Hierzu genügt es, wenn einem anderen, ohne dass eine Vollmacht erteilt wird, die tatsächliche Möglichkeit eingeräumt wird, Rechte aus einem bestehenden Vertragsverhältnis selbstständig wahrzunehmen (BGH ZIP 23, 2241; WM 00, 1539, 1541). Wesentlich für die Wissensvertretung ist, dass die Erlangung der Tatsachenkenntnis, die dem Gläubiger zugerechnet werden soll, zu dem Aufgabenkreis des Vertreters gehört (BGH NJW 14, 2861 [BGH 04.07.2014 - V ZR 183/13] Rz 11). Eine Zurechnung privater Kenntnisse findet nur statt, wenn ausnw der Geschäftsherr aus Gründen des Verkehrsschutzes zur Organisation eines Informationsaustauschs verpflichtet ist, der auch privat erlangtes Wissen umfasst (BGH NJW 16, 3445 [BGH 14.01.2016 - I ZR 65/14] Rz 61). Die Wissenszurechnung erfolgt auch außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der §§ 164 ff, dh auch bei nicht rechtsgeschäftlichem Handeln.
Rn 14
Die Wissenszurechnung entfällt, wenn die Partei klarstellt, dass sie nur für eigenes Wissen und Tun einstehen will (KG WM 96, 358, 362 [KG Berlin 02.02.1995 - 2 U 7876/93]; vgl BGH NJW 95, 2550, 2551 [BGH 02.06.1995 - V ZR 52/94]). Eingeschränkt ist sie auch bei notariell beurkundeten Verträgen. Um die Warn- und Schutzfunktion des Formzwangs nicht zu unterlaufen, kommt es bei der Auslegung eines nach § 311b oder 15 IV GmbHG beurkundungspflichtigen Vertrags nicht darauf an, welchen Sinn der von einer Vertragspartei mit den Vorverhandlungen Beauftragte dort einer Vereinbarung beigelegt hatte; maßgeblich ist nur, wie die Vertragsparteien selbst oder der für sie an der Beurkundung beteiligte Vertreter die beurkundeten Erklärungen verstehen mussten (BGH NJW 00, 2272, 2273 f; 3127, 3128; abl Goldschmidt ZIP 05, 1305, 1313). Eine Zurechnung von Kenntnissen des Wissensvertreters analog I soll dann nicht Betracht kommen, wenn dessen Beauftragung und Bevollmächtigung wegen eines Verstoßes gegen das RBerG (Rn 21) nichtig ist (BGH WM 07, 639 Rz 39).
Rn 15
Spezielle Regelungen der Wissenszurechnung gelten im Versicherungsvertragsrecht (§§ 2 III, 20, 70 VVG). Der BGH hat insb die jetzt in § 70 VVG geregelte ›Auge-und-Ohr-Rspr‹ entwickelt, nach der sich der Versicherer die Kenntnis eines Angestellten oder Versicherungsagenten, die dieser bei der Entgegennahme des Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrages erlangt hat, zurechnen lassen muss (BGH NJW-RR 08, 977 Rz 7; 00, 316, 317; VersR 08, 809 Rz 7). Für den Beginn der Verjährung gem § 199 I Nr. 2 (§ 852 I aF) kommt es hinsichtlich der positiven Kenntnis von Behörden und juristischen Personen des Öffentlichen Rechts nach stRspr auf den Wissensstand derjenigen Bediensteten an, die nach der Behördenorganisation mit der Vorbereitung und Verfolgung von deliktischen Regressforderungen in eigener Verantwortung betraut sind. Die für die abteilungs- und filialübergreifende Wissenszurechnung im rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelten Grundsätze (s Rn 18 ff) sind insoweit nicht anwendbar (BGH NJW 12, 151 [BGH 26.10.2011 - XII ZB 247/11] Rz 18 ff; 07, 834 Rz 5, 7).