I. Vertragsauslegung.
Rn 3
Die Zurechnung des Vertreterhandelns nach I ist auch für die Auslegung eines Vertrages maßgeblich. Für den Inhalt sowohl der von dem Vertreter abgegebenen (§ 164 I 1) als auch der von ihm entgegengenommenen Erklärung (§ 164 III) kommt es auf die Willensrichtung bzw das Verständnis des Vertreters an (BGH NJW 00, 2272, 2273 [BGH 29.03.2000 - VIII ZR 81/99]).
II. Willensmängel.
Rn 4
I bestimmt, dass für Willensmängel iSd §§ 116 ff die Person des Vertreters maßgeblich ist. Für die Nichtigkeit einer unter einem geheimen Vorbehalt ggü dem Vertreter abgegebenen Erklärung nach § 116 2 kommt es dagegen sowohl auf die Kenntnis des Vertretenen als auch auf die des Vertreters an (BeckOKBGB/Schäfer Rz 11; aA Staud/Schilken Rz 12; Flume II § 20 1). Eine Erklärung, die der Vertreter im Einverständnis mit dem Vertragspartner abgegeben hat, ist gem § 117 I iVm I nichtig, es sei denn der Vertreter und der Vertragspartner haben kollusiv zum Nachteil des Vertretenen zusammengewirkt (BeckOKBGB/Schäfer Rz 12). Für eine Irrtumsanfechtung nach § 119 muss sich der Vertreter geirrt haben (Bork Rz 1655). Ein Anfechtungsrecht des Vertretenen gem § 123 besteht nur, wenn der Vertreter bedroht oder arglistig getäuscht wurde (BGHZ 51, 141, 145). Der Geschäftspartner ist zur Anfechtung berechtigt, wenn die Täuschung oder Drohung von dem Vertretenen ausgegangen ist oder die Täuschungshandlung von dem gutgläubigen Vertreter vorgenommen wurde und die Arglist beim Vertretenen liegt (Staud/Schilken § 166 Rz 26). Zur Täuschung oder Drohung des Geschäftsgegners durch den Vertreter s § 164 Rn 77. Ist der Geschäftsgegner durch die arglistige Täuschung eines Dritten zum Geschäftsabschluss bestimmt worden, kann er nach § 123 II 1 anfechten, wenn der Vertreter nach I oder der Vertretene nach Maßgabe des II (s Rn 7 ff) die Täuschung kannte oder kennen musste (Staud/Schilken Rz 25). Daneben wird dem Geschäftsgegner ein Anfechtungsrecht nach § 123 II 2 zugebilligt, wenn nur der Vertretene die Täuschung kannte oder kennen musste (MüKo/Schubert Rz 35).
III. Kenntnis und Kennenmüssen des Vertreters.
Rn 5
Nach I ist die Person des Vertreters auch dann entscheidend, wenn die Kenntnis oder das Kennenmüssen (s die Legaldefinition in § 122 II) besonderer Umstände für das Vertretergeschäft von Bedeutung ist. Das gilt insb für die subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Verbotsgesetzes iSd § 134 (BayObLG NJW 93, 1143, 1144f [BayObLG 24.11.1992 - 1Z BR 73/92]), die subjektiven Voraussetzungen des § 138 (BGH NJW 92, 899, 900 [BGH 08.11.1991 - V ZR 260/90]) und der §§ 142 II, 173 (BGH NJW 89, 2879, 2880 [BGH 01.06.1989 - III ZR 261/87]), die Kenntnis von Mängeln iSd §§ 442 I 2, 640 II (BGH NJW 00, 1405, 1406 [BGH 28.01.2000 - V ZR 402/98]) und Arglist iSv §§ 463 2 aF, 442 I 2, 434 III, 444 (BGH NJW 04, 1196, 1197 [BAG 19.11.2003 - 10 AZR 110/03]; 96, 1205 [BGH 31.01.1996 - VIII ZR 297/94]; 91, 1500 [OVG Hamburg 31.07.1990 - Bf VI 71/90]), die für § 814 erforderliche Kenntnis der Nichtschuld (BGH NJW 99, 1024, 1025), die Zurechnung von bösem Glauben gem §§ 819, 892, 932, 990; 366 HGB (WM 14, 900 Rz 11; NJW 01, 360, 361; WM 00, 1539, 1541; BGHZ 135, 202, 205 ff) und § 912 (BGH NJW 77, 375), die Zurechnung der Kenntnis der Mutter im Rahmen der Frist des § 1600b für die Vaterschaftsanfechtung (BGH MDR 17, 34 [BGH 02.11.2016 - XII ZB 583/15] Rz 12) und die subjektiven Voraussetzung der Gläubigeranfechtung gem §§ 3 AnfG; 129 ff InsO (BGH WM 13, 180 Rz 26: zu § 133 InsO; NJW 91, 980, 981; BGHZ 94, 232, 237 zu § 3 I Nr 1 AnfG aF). IRd § 133 InsO scheidet zu Lasten eines Minderjährigen eine Zurechnung der Kenntnisse eines gesetzlichen Vertreters jedoch aus, wenn dieser sich in Verfolgung seiner eigenen wirtschaftlichen Belange über die Vermögensinteresses des Kindes hinwegsetzt (BGH NJW 17, 3516 Rz 29). Die Zurechnung nach I umfasst auch Wissen, durch das Hinweis- und Warnpflichten begründet werden (BGH WM 13, 924 Rz 25). Das Verhalten eines Darlehensnehmers, der ein Widerrufsrecht (§ 495) zugleich für einen anderen Darlehensnehmer gem § 242 rechtsmissbräuchlich ausübt, ist diesem über I zuzurechnen (BGH VuR 17, 317). IRd § 199 I Nr. 2 ist dem Vertretenen das Wissen eines gesetzlichen Vertreters analog I zuzurechnen. Das gilt jedoch vorbehaltlich der Fälle, in denen sich der Anspruchsteller eines Wissensvertreters bedient, nicht im Bereich der rechtsgeschäftlichen Stellvertretung (BGH NJW 16, 3445 [BGH 14.01.2016 - I ZR 65/14] Rz 60). Zur Wissensvertretung s Rn 13 ff.
IV. Treuwidrigkeit der Berufung auf das Vertreterwissen gem § 242.
Rn 6
Im Einzelfall kann die Berufung auf I gem § 242 treuwidrig sein. Das ist etwa anzunehmen, wenn der Vertragspartner mit dem Vertreter bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammengewirkt hat oder er dem Vertretenen den Vertreter aufgedrängt hat, um aus der Vorschrift des I Vorteile zu ziehen (BGH NJW 00, 1405, 1406). Treuwidrig handelt eine Vertragspartei, die sich auf I beruft, auch dann, wenn sie damit rechnen musste, dass der Vertreter sein Wissen dem Geschäftsherrn vorenthalten würde (BGH WM 13, 924 Rz 27).