I. Anspruchsgrundlage.
Rn 1
Nach überwiegender Meinung in Literatur und Rspr bestimmt die Vorschrift nicht nur den Haftungsmaßstab, sondern ist zugleich Anspruchsgrundlage für Schadensersatzansprüche des Kindes gegen seine Eltern, die in einer Pflichtverletzung bei der Ausübung der elterlichen Sorge begründet sind (BGHF 6, 55, 57 v 10.2.88; FamRZ 21, 518; Brandbg FamRZ 22, 1198; Karlsr FamRZ 15, 860, 861: Schmerzensgeld wegen Beschneidung; Frankf FamRZ 16, 147, 148: Verbrauch Sparguthaben; Köln FamRZ 97, 1351; Ddorf FamRZ 92, 1097; Celle FamRZ 18, 106; Frankf FamRZ 19, 457 und BGH FamRZ 19, 1620 zu Sparbuchfällen; Saarbr FamRZ 23, 1213: Aufsichtspflicht; LG Ellwangen FamRZ 11, 739; Grüneberg/Götz § 1664 Rz 1; Staud/Heilmann § 1664 Rz 6). Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich demnach auf alle Schäden, die auf der Verletzung der Elternpflichten zur rechtlichen und tatsächlichen Wahrnehmung der Kindesinteressen auf dem Gebiet der Personen- und Vermögenssorge beruhen (Köln FamRZ 97, 1351).
II. Haftungsmaßstab.
Rn 2
In dem vorgenannten Anwendungsbereich bestimmt I den Haftungsmaßstab der Eltern für Schadensersatzansprüche des Kindes. Demnach müssen die Eltern bei der Ausübung der Sorge nur für die Einhaltung derjenigen Sorgfalt einstehen, die sie auch in eigenen Angelegenheiten walten lassen. Dieses ›Haftungsprivileg‹ gründet in der familienrechtlichen Verbundenheit zu dem Geschädigten, welche der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleiht (BGH FamRZ 88, 810, 812; 21, 425) und kann nicht entsprechend auf Dritte angewendet werden (Köln FamRZ 16, 385 für Pflegemutter). Denn Familiengemeinschaft ist Haftungsgemeinschaft. Dies führt dazu, dass der gewissenhafte Elternteil im Verhältnis zum leichtfertigen strenger haftet. Die Grenze bildet aber der objektiv zu bestimmende Maßstab des § 277: Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haben die Eltern immer zu vertreten (AG Büdingen FamRZ 14, 1648).
III. Voraussetzung.
Rn 3
für die Anwendbarkeit des § 1664 ist, dass den Eltern die Sorge auch zusteht, insb darf das Sorgerecht weder ruhen noch entzogen sein. Dagegen ist § 1664 entspr anzuwenden, wenn ein nichtsorgeberechtigter Elternteil die Sorge tatsächlich ausübt, etwa bei der Ausübung des Umgangsrechts (vgl BGH FamRZ 88, 810, 812). Eine analoge Anwendung des § 1664 auf andere Personen als die Eltern kommt dagegen wegen des familienrechtlich geprägten Ausnahmecharakters dieser Vorschrift nicht in Betracht (BGH FamRZ 96, 155). Etwas anderes gilt kraft Gesetzes nur für den Vormund: § 1794 II verweist auf § 1664, wenn der Mündel auf längere Zeit im Haushalt des Vormundes aufgenommen ist. Auch findet § 1664 in umgekehrter Weise auf die Haftung des Kindes ggü den Eltern entspr Anwendung, da es ungerechtfertigt wäre insoweit einen anderen Haftungsmaßstab anzulegen (Staud/Heilmann § 1664 Rz 13).
IV. Individuelle Elternverantwortung.
Rn 4
Grds haftet jeder Elternteil nur für sein eigenes Verschulden. Doch ist auch nach diesem Prinzip der individuellen Elternverantwortung jeder Elternteil gehalten, in zumutbaren Grenzen den anderen Elternteil zu überwachen (Köln FamRZ 97, 1351). Daher werden – abgesehen von Augenblicksversagen – regelmäßig beide Eltern sich einer Pflichtverletzung schuldig gemacht haben.
V. Erfüllungsgehilfen.
Rn 5
Bedienen sich die Eltern der Hilfe eines Dritten (Hauspersonal, Kindermädchen, Babysitter) zur Erfüllung ihrer Pflichten ggü dem Kind, so haften sie für dessen Auswahl und Überwachung gem § 1664 I. Für ein Verschulden dieses Erfüllungsgehilfen müssen sie gem § 278 einstehen. Aber auch hier gilt für die Eltern das Haftungsprivileg des § 1664 I mit der möglichen Folge, dass nur der Erfüllungsgehilfe haftet.
Rn 6
Etwas anderes muss gelten, wenn die Eltern für ihr Kind die Hilfe eines Arztes oder Rechtsanwalts in Anspruch nehmen. Zwar sind sie dann iRd § 1664 I ebenfalls für die Auswahl und in eingeschränkter Weise auch für die Überwachung verantwortlich, doch kann darüber hinaus eine Haftung der Eltern nicht angenommen werden, weil sie zur eigenen Pflichtenwahrnehmung (schuldlos) nicht in der Lage sind (vgl Staud/Heilmann § 1664 Rz 28f).
VI. Anwendbarkeit.
1. Haftungsbeschränkung.
Rn 7
Die Haftungsbeschränkung des § 1664 I regelt, in welchem Umfang die Eltern bei Ausübung der elterlichen Sorge ggü dem Kind haften (BGH FamRZ 21, 425 mAnm Becker). Daher gilt sie auch für deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 I in diesen Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre (BGH FamRZ 21, 425 mAnm Becker; 88, 810; Hamm NZV 94, 68; Ddorf FamRZ 00, 438; Karlsr FamRZ 09, 707, 708; Stuttg NJW-RR 11, 239; MüKo/Huber § 1664 Rz 9; Grüneberg/Götz § 1664 Rz 3; Staud/Heilmann § 1664 Rz 33). Durch § 1666 I wird ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 S 1 ausgeschlossen (BGH FamRZ 21, 425 mAnm Becker).
2. Ausschluss der Anwendbarkeit.
Rn 8
Keine Anwendung findet I aber auf Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gem §§ 823 ff, wenn kein innerer Zusammenhang zwischen der elterlichen Sorge und den verletzten deliktischen Pflichten bes...