Rn 2
Die Gefahr muss gegenwärtig oder nahe bevorstehend sein und so ernst zu nehmen, dass bei Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BGH FamRZ 17, 212, 213; 56, 350; 19, 598; Zweibr FamRZ 84, 931; Brandbg FamRZ 08, 1557; Celle FamRZ 03, 1490; Hamm FamRZ 06, 359; Karlsr FamRZ 18, 1830, 1832 mAnm Burhart, aufgehoben BGH FamRZ 19, 598). Eine bloß künftige Gefahr genügt nicht. Andererseits setzt die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr nicht voraus, dass sie sich bereits auf das augenblickliche oder vorübergehende Befinden des Kindes ausgewirkt hat (BayObLG DAVorm 81, 901, 903). Vielmehr genügt es, dass der Schaden für eine gedeihliche altersgemäße Entwicklung des Kindes bereits in den gegenwärtigen Verhältnissen angelegt ist und ein Eingreifen zum jetzigen Zeitpunkt notwendig ist (Brandbg FamRZ 16, 1180, 1181; Staud/Coester § 1666 Rz 82a). An den Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefährdung sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist (BGH FamRZ 17, 212, 213; Frankf FamRZ 19, 1425: sexueller Missbrauch); konkrete Verdachtsmomente aufgrund zumindest geringer Anzeichen bleiben aber notwendig (Karlsr FamRZ 09, 1599: Reise in Land mit Beschneidungspraxis; Hambg FamRZ 20, 925: bei Entführungsgefahr); eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht (BGH FamRZ 17, 212, 213). Eine konkrete Gefährdung kann sich auch aus einer Vielzahl von Einzelaspekten ergeben (KG FamRZ 16, 641, 643 mAnm Coester). Die Feststellungslast trägt der Staat (BVerfG FamRZ 20, 422).
Rn 3
Es muss sich um eine schwerwiegende Gefährdung des Kindes in körperlicher, seelischer oder geistiger Beziehung handeln. Denn grds genießt die Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern. Gem Art 6 II 1 GG den Vorrang vor staatlichem Handeln (vgl BVerfGE 24, 1, 135 = FamRZ 68, 578, 582). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit berechtigt den Staat in Wahrnehmung seines Wächteramtes die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschließen oder selbst diese Aufgabe zu übernehmen (BVerfG FamRZ 06, 1593, 1594; 08, 492; 10, 713; 12, 433; 1127, 1128). Die Beachtung des Kindeswohls bedeutet nicht, dass es zur Ausübung des Wächteramtes des Staates nach Art 6 II 2 GG gehört, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen (Köln FamRZ 08, 1553, 1554; 11, 1307). Die Interessen des Kindes werden in aller Regel am besten von den Eltern wahrgenommen. Dabei ist in Kauf zu nehmen, dass das Kind durch den Entschluss der Eltern wirkliche oder vermeintliche Nachteile erleidet, die iRe nach objektiven Maßstäben betriebenen Begabtenauslese vielleicht vermieden werden könnten (BVerfG FamRZ 82, 567; 570; 08, 492; 2185, 2186; BayObLG FamRZ 93, 1350; Köln FamRZ 96, 1027, 1028; Celle FamRZ 03, 549; Brandbg FamRZ 16, 1180; 23 533). Gelegentliche Erziehungsfehler, wie sie jedem Personensorgeberechtigten unterlaufen können, stellen keine Gefährdung des Kindeswohls im Sinn von § 1666 I dar (BayObLG FamRZ 93, 843, 845). Selbst einer nicht optimalen Elternbetreuung ist grds der Vorrang vor einer – auch qualifizierten – Fremdbetreuung zu geben (Brandbg FamRZ 09, 994, 995; vgl auch Celle FamRZ 03, 549, 550; Hambg FamRZ 01, 1008). ›Die sozialen Verhältnisse der Eltern, in die ein Kind hineingeboren wird, müssen als schicksalhaft hingenommen werden. Es dürfen damit nicht Maßnahmen gerechtfertigt werden, die es ermöglichen sollen, das Kind in einer besseren sozialen Umgebung aufwachsen zu lassen.‹ (BayObLG NJW-RR 90, 70; ebenso Hamm FamRZ 04, 1664, 1665; vgl auch EGMR FamRZ 02, 1393, 1396). Das Kind hat keinen Anspruch auf ›Idealeltern‹ und optimale Förderung und Erziehung. Die Eltern und deren sozioökonomische Verhältnisse zählen grds zum Schicksals- und Lebensrisiko eines Kindes (Brandbg FamRZ 08, 1556; Köln FamRZ 08, 1553, 1554; Hamm FamRZ 12, 462; 13, 1994; Braunschw FamRZ 23, 533; Staud/Coester § 1666 Rz 84; Grüneberg/Götz § 1666 Rz 7). Daher ist das staatliche Wächteramt auf die Abwehr von Gefahren beschränkt (Hamm FamRZ 04, 1664, 1665; vgl Kunkel FamRZ 15, 901). Dabei ist zu beachten, dass Art 8 I, II EMRK das Recht auf Achtung des Familienlebens garantiert und Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zulässt (vgl auch EGMR FamRZ 08, 1319, 1320; 12, 1863, 1864). Die Eingriffe müssen die Fortentwicklung der familiären Beziehungen mit dem Ziel ermöglichen, Eltern und Kinder wieder zusammenzuführen (Hamm FamRZ 04, 1664; EGMR FamRZ 02, 1393; 04, 1456; 05, 585).