1. Abstufung.
Rn 31
Als mildeste Maßnahmen kommen Ermahnungen, Auflagen, Gebote und Verbote in Betracht. So können die Eltern insb angewiesen werden öffentliche Hilfe nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) anzunehmen (Kobl FamRZ 12, 1955; vgl Staud/Coester § 1666 Rz 219 f; Bremen FamRZ 10, 821). Solche Jugendhilfemaßnahmen kann das Gericht auch mit Bindungswirkung für das Jugendamt anordnen (Frankf FamRZ 94, 392; DAVorm 93, 943; a; aA MüKo/Lugani § 1666 Rz 180 ff; J/H/A/Jockisch § 1666a Rz 17). In der gerichtlichen Praxis wird davon aber eher selten Gebrauch gemacht, weil dies voraussetzt, dass die Eltern bereit und in der Lage sind mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten. Ist dies der Fall, wird sich ein Verfahren gem § 1666 aber meist erübrigen. IdR ist es erforderlich den Eltern einen Teil oder sogar die gesamte Personensorge zu entziehen. Als mildere Maßnahmen kann es aber auch ausreichend sein gem III Erklärungen des Sorgerechtsinhabers zu ersetzen oder den Sorgerechtsinhabern zu gebieten, Jugendhilfeleistungen außerhalb der Familie (zB Heimerziehung) anzunehmen und nicht zu beeinträchtigen (Nürnbg FamRZ 15, 1211). Auch eine Vollmachtserteilung an das Jugendamt kann den Sorgerechtsentzug entbehrlich machen (Oldbg FamRZ 21, 524). Eine Trennung des Kindes von dem sorgeberechtigten Elternteil darf nur dann erfolgen, wenn das Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind in seinem körperlichen, geistigen und seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist und dieser Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (BVerfG FamRZ 82, 567; 09, 1897; 12, 433; 938; 14, 1266; 1270 mAnm Stößer; 1772, 1773; 15, 208; 16, 22; 21, 104; 21, 753; BGH FamRZ 16, 1752, 1754; 17, 212, 214 mAnm Rake FamRZ 17, 286; Saarbr FamRZ 08, 711; Hamm FamRZ 12, 462, 463; vgl auch Brandbg FamRZ 09, 994; Kobl FamRZ 12, 1953: Entzug Aufenthaltsbestimmungsrecht nur für Schultage). In § 1666a ist dieser Grundsatz eigens gesetzlich normiert. Ein Elternteil kann aber nicht angewiesen werden, sich zur Gefahrabwehr einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen (Saarbr FamRZ 10, 310).
2. Geeignetheit.
Rn 32
Das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs bedeutet nicht, dass im Zweifel eine unsichere, aber mildere Maßnahme gewählt werden muss (vgl Brandbg FamRZ 21, 281). Vielmehr gilt, dass je schwerwiegender die drohende Gefährdung ist, desto sicherer der Schutz des Kindes sein muss. So kann der fortbestehenden Gefahr eines unkontrollierten Verhaltens des Vaters, das zu erheblichen, teilweise sogar lebensbedrohlichen Verletzungen der Kinder führt, nur mit hinreichender Sicherheit durch die Trennung der Kinder von den Eltern begegnet werden, wozu die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts die geeignete Maßnahme ist. Andere familiäre Hilfen (s § 1666a I) sind nicht geeignet, der Gefährdung mit der gebotenen Beschleunigung und Verlässlichkeit zu begegnen, insb wäre eine ständige Überwachung der Familie mit zumutbarem Aufwand nicht zu verwirklichen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in einem solchen Fall schon wegen der Schwere der körperlichen Beeinträchtigungen nicht verletzt (BayObLG FamRZ 97, 572, 573; 99, 178, 179).
Rn 33
Die gesamte Personensorge für ein Kind darf in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung einer schwerwiegenden Gefahr für das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes nicht ausreichen (s § 1666a II; BayObLG FamRZ 99, 316, 317; vgl auch BayObLG FamRZ 94, 1413; Brandbg FamRZ 09, 2100; Hamm FamRZ 10, 1091). Deshalb ist regelmäßig auch zu prüfen, ob die Gefährdung des Kindes nicht schon dadurch beseitigt werden kann, dass dem Sorgeberechtigten das Aufenthaltsbestimmungsrecht statt der gesamten Personensorge entzogen wird (BayObLG FamRZ 90, 780).
Rn 34
Jeder staatliche Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern muss so gering, zurückhaltend und behutsam, wie im Einzelfall nur möglich gehalten sein. Daher ist zu prüfen, ob statt der endg Trennung eines Kindes von seinen Eltern nicht stattdessen eine zeitweise Entziehung der Personensorge mit zeitweiliger Trennung ausreicht, um den Konflikten zu begegnen und Spannungen zu beseitigen (Köln FamRZ 96, 1027). Ein Sorgerechtsentzug scheidet aus, wenn die Maßnahmen von den staatlichen Stellen nicht wirksam umgesetzt werden können oder Verstöße der Kindeseltern infolge unzureichender staatlicher Kinderschutzmechanismen keine Konsequenzen nach sich ziehen würden (Kobl FamRZ 20, 923).
3. Mildere Maßnahmen.
Rn 35
Besteht der Missbrauch des Sorgerechts oder das unverschuldete Elternversagen nur in einem dem Kindeswohl zuwiderlaufenden Rückführungsverlangen, reicht es idR aus, den Verbleib in der Pflegefamilie gem § 1632 IV anzuordnen, so dass iRd Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine familiengerichtliche Maßnahme darauf zu beschränken ist (Hamm FamRZ 98, 447, 448; 10, 2083; stRspr, vgl nur BayObLG FamRZ 84, 932; NJW-FER 00, 231; zum Verhältnis zu § 1632 vgl...