Rn 40
Der Rechtsschein einer Duldungs- und Anscheinsvollmacht setzt voraus, dass der Scheinvertreter ohne eine Bevollmächtigung als Vertreter für den Vertretenen auftritt, sodass der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben annehmen darf, der als Vertreter Handelnde sei bevollmächtigt. Das setzt voraus, dass der Geschäftsgegner die Tatsachen kennt, aus denen sich der Rechtsschein der Bevollmächtigung ergibt (BGH NJW 11, 2421 [BGH 11.05.2011 - VIII ZR 289/09] Rz 15; 07, 987 Rz 25). Darüber hinaus muss das Auftreten des Scheinvertreters nach Treu und Glauben den zuverlässigen Schluss auf eine Vollmachtserteilung durch den Vertretenen erlauben (Soergel/Leptien Rz 20). Hierzu ist es idR erforderlich, dass das Handeln des Scheinvertreters von einer gewissen Dauer und Häufigkeit war (BGH NJW 98, 1854, 1855; für die Anscheinsvollmacht BGHZ 208, 331 Rz 65). Ausnahmsweise kann der Rechtsscheintatbestand aber auch bei einem ein- bzw erstmaligen Auftreten des Vertreters ohne Vertretungsmacht in Betracht kommen, wenn das Verhalten mit großer Deutlichkeit für eine Bevollmächtigung spricht (Bork Rz 1550). Auch ein Vertreterhandeln aufgrund einer nichtigen Vollmacht kann nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht eine Rechtsscheinhaftung des Vollmachtgebers begründen, wenn das Vertrauen des Dritten auf den Bestand der Vollmacht nach Maßgabe der Grundsätze der allg Rechtscheinvollmacht schutzwürdig erscheint (BGH WM 05, 1520, 1522; 02, 1273, 1274 f; zur Heilung einer wegen Verstoßes gegen das RBerG nichtigen Vollmacht s Rn 24). Um die gesetzliche Wertung der §§ 172f nicht zu umgehen, muss das Vertrauen des Vertragspartners aber an andere Umstände als die Vollmachtsurkunde anknüpfen und bereits bei Vertragsschluss vorgelegen haben (BGH WM 04, 1536, 1539; 1230, 1232). Zur Zurechenbarkeit des Vertreterhandelns in den Fällen einer nichtigen Vollmacht s Rn 43.
Rn 41
Als hinreichende Grundlage für eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht anerkannt sind die selbstständige Bearbeitung und Erledigung der Geschäftskorrespondenz (BGH LM § 164 Nr 9), die wiederholte Verwendung überlassener Geschäftspapiere oder eines Firmenstempels (BGHZ 5, 111, 116), die Fortführung eines Betriebes ohne Bekanntgabe des Inhaberwechsels (BGH WM 71, 15f) auch durch einen Miterben im Namen der Erbengemeinschaft (BGH NJW 62, 2196, 2197f [BGH 26.09.1962 - VIII ZR 113/61]), die Verwendung des Namens eines ausgeschiedenen Sozius oder eines Nicht-Sozius auf dem Kanzleischild oder dem Briefbogen einer Anwaltskanzlei (BGH NJW 08, 2330 [BGH 16.04.2008 - VIII ZR 230/07] Rz 10; 91, 1225), die Aufforderung des Verkäufers an den Käufer, sich mit einer Mängelrüge an den Hersteller zu wenden (Karlsr MDR 83, 488f), die Entgegennahme von Energie durch einen Mitmieter (BGH NJW 14, 3150 Rz 27), nicht nur vereinzelt gebliebene Kontoüberziehungen durch einen Kontobevollmächtigten oder Mitkontoinhaber (Ddorf WM 96, 949, 952 f; Oldbg WM 96, 997, 999; aA Brandbg WM 07, 2150) und wiederholte Kreditinanspruchnahmen ohne erkennbaren Widerspruch (BGH NJW 97, 312, 314). Aus der auf persönliche Weisung des Darlehensnehmers erfolgten Auszahlung der Darlehensvaluta auf ein von einem Treuhänder für den Darlehensnehmer errichtetes Konto ergibt sich eine Duldungsvollmacht für den Treuhänder, über dieses Konto auch zu verfügen (München NJW 06, 1811, 1812f [OLG München 27.04.2006 - 19 U 3717/04]). Von einer Duldungsvollmacht für das Treuhänderhandeln ist auch dann auszugehen, wenn ein Anleger der finanzierenden Bank den vorgesehenen Abschluss des Darlehensvertrages durch den Treuhänder bekannt gibt und selbst an dessen Zustandekommen durch Unterzeichnung der Kontoeröffnungsvollmacht und Aushandeln der Darlehensbedingungen mitwirkt (Frankf NJW-RR 05, 1514, 1515f [BGH 11.07.2005 - NotZ 10/05]). Dagegen soll die Vorlage von Unterlagen, die den Darlehensvertrag lediglich vorbereiten (Selbstauskunft, Einziehungsermächtigung, Prospekte usw), für eine Rechtsscheinvollmacht zum Abschluss eines Darlehensvertrages ebenso wenig genügen wie das Schweigen des Kreditnehmers auf die Mitteilung über die Einrichtung eines Kontos (BGH WM 05, 1520, 1522; 05, 786, 788; zust MüKo/Schubert Rz 144; krit Münscher BKR 05, 500, 501). Eine Rechtsscheinvollmacht kann sich auch auf die Begebung eines Schecks oder Wechsels erstrecken. Nicht ausreichend ist jedoch die Zeichnung und Begebung von zwei Schecks innerhalb von drei Wochen (BGH WM 86, 901, 902), wohl aber die Ausstellung von vier Wechseln an eigene Order innerhalb von vier bis sechs Monaten (München BB 97, 646, 647 [BGH 30.01.1997 - IX ZR 133/96]). Eine über die originäre Architektenvollmacht (s Rn 29) hinausgehende Anscheinsvollmacht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Vertragspartner aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles annehmen darf, der Bauherr kenne und dulde das Verhalten des für ihn auftretenden Architekten (BGH BauR 09, 197; WM 83, 232; KG BauR 08, 97, 98 ff; Jena BauR 09, 1899f). Die Aushändigung eines Kfz-Briefs (Köln Ve...