Rn 1
Bei der Ausübung und Ausgestaltung des Umgangsrechts ist zentraler Maßstab und oberste Richtschnur das Wohl des Kindes, dem im Konfliktfall der Vorrang vor den Elterninteressen zukommt (BVerfG FamRZ 99, 85, 86). Zum Wohl des Kindes gehört idR der Umgang mit beiden Elternteilen, § 1626 III 1. Denn für die Entwicklung des Kindes ist es von besonderer Wichtigkeit, dass es durch ungestörten persönlichen Umgang mit dem Elternteil, bei dem es nicht in Obhut ist, Gelegenheit erhält, sich ein eigenständiges, auf persönlichen Erfahrungen beruhendes Bild von diesem und dessen Ansichten zu machen (Köln FamRZ 98, 1463; 10, 1747). Ebenso ist anerkannt, dass es für eine gedeihliche seelische Entwicklung eines Kindes und die psychische Verarbeitung einer Familienauflösung in aller Regel bedeutsam ist, nicht nur einen sorgenden (und sorgeberechtigten) Elternteil als Bindungspartner zu haben, sondern auch den anderen Elternteil nicht faktisch zu verlieren, vielmehr die Beziehung zu ihm so gut wie möglich aufrechtzuerhalten (Celle FamRZ 98, 1458, 1459; 90, 1026, 1027; Hamm FamRZ 00, 45; Bambg FamRZ 00, 46, 47; Köln FamRZ 12, 1885). Dies gilt selbst dann, wenn das Kind wegen seines geringen Alters die Trennung gar nicht bewusst miterlebt und vielleicht in dem neuen Partner des Elternteils, bei dem es lebt, einen Ersatz gefunden hat oder finden könnte, weil die Erfahrung in den Adoptionsfällen lehrt, dass spätestens im jugendlichen Alter die Frage nach der Herkunft und nach der Person des leiblichen Elternteils große Bedeutung für die Identifikation und Selbstfindung des Kindes erlangt. Unabhängig davon, wie sich das Verhältnis zwischen dem Kind und dem Elternteil, bei dem es sich nicht (mehr) aufhält, entwickeln wird, sind beide für immer schicksalhaft miteinander verbunden, so dass dem Kind Gelegenheit gegeben werden muss auch diesen Elternteil kennen zu lernen, um zu begreifen, wo seine Wurzeln sind (KG FamRZ 03, 948, 949).
Rn 2
Daneben sind Entwicklungen denkbar, die es notwendig machen, dass der bisher nicht sorgeberechtigte Elternteil zur Übernahme der elterlichen Sorge oder Obhut verpflichtet ist, sei es dass der andere Elternteil stirbt (§ 1680 I und II) oder dass er aus anderen Gründen an einer weiteren Ausübung der elterlichen Sorge gehindert ist (§§ 1678 II, 1696 I; vgl auch Frankf FamRZ 88, 754, 755). In einem solchen Fall wird ein in der Vergangenheit wahrgenommenes Umgangsrecht die Umstellung des Kindes auf die veränderten Verhältnisse idR erleichtern (BVerfGE 64, 180, 189 = FamRZ 83, 872, 874 [BVerfG 31.05.1983 - 1 BvL 11/80]; BGH FamRZ 84, 778, 779).
Rn 3
Das Kind hat einen klagbaren und ausnahmsweise auch vollstreckbaren Anspruch auf Umgang (vgl Köln FamRZ 01, 1023; 02, 979; München FamRZ 05, 2010; Frankf FamRZ 21, 432), wenn dem auch in erster Linie nur Appellcharakter zukommt (Staud/Rauscher § 1684 Rz 59; vgl aber Brandbg FamRZ 05, 293, aufgehoben durch BVerfG FamRZ 08, 845). Doch dient ein mit Zwangsmitteln gegen einen umgangsunwilligen Elternteil durchgesetzter Umgang idR nicht dem Kindeswohl (BVerfG FamRZ 08, 845, 850 ff; 794; AG Celle FamRZ 10, 1681). Davon kann nicht in gleicher Weise bei der Vollstreckung des Umgangs gegen einen Elternteil ausgegangen werden, der den Umgang mit den Kindern wünscht, diesen aber nur in geringerem Umfang wahrnehmen möchte als gerichtlich festgelegt (BVerfG FamRZ 22, 794 mAnm Hammer). Die Umgangspflicht ist ein höchstpersönliches Recht des Kindes, das gegen einen umgangsunwilligen Elternteils nur durch das Kind – vertreten durch den anderen Elternteil oder im Falle eines Interessenkonflikts durch einen Ergänzungspfleger – geltend gemacht werden kann (BGH FamRZ 08, 1334 mit Anm Luthin und weiterer Anm Bienwald, FamRZ 08, 2020; Karlsr FamRZ 14, 1126; aA Frankf FamRZ 14, 576: eigenes Antragrechts des betreuenden Elternteils; Karlsr FamRZ 19, 1794; AG Reinbek FamRZ 15, 1817; ähnl Kobl FamRZ 20, 177: Antrag des Eltenteils ist als Anregung einzuordnen, von Amts wegen Umfang und Ausgestaltung des Umgangs zu regeln).