Rn 6
Was Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind, versucht I 3 näher zu beschreiben. Demnach weisen diese regelmäßig zwei Merkmale auf: die Entscheidungen müssen häufig vorkommen und keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Dabei ist das Merkmal der Häufigkeit nicht ganz unproblematisch, weil der Gesetzgeber sicherlich auch einmalige oder seltene Entscheidungen von untergeordneter Bedeutung erfassen wollte. Andererseits können gerade alltägliche häufig vorkommende Entscheidungen die Entwicklung des Kindes ganz entscheidend prägen; dazu zählen etwa die Fragen, wann das Kind ins Bett gehen oder abends nach Hause kommen soll oder in welchem Umfang es fernsehen darf.
Rn 7
Bsp für das Vorliegen (ja) oder Nichtvorliegen (nein) von Angelegenheiten des täglichen Lebens iSd I 2 (vgl Schwab FamRZ 98, 457, 469; Staud/Salgo § 1687 Rz 36 ff; KG FamRZ 11, 1659): Schule/Ausbildung: nein: Wahl der Schulart und der Schule/Ausbildungsstätte (vgl München FamRZ 99, 111: Schulwechsel keine Alltagsfrage; ebenso Dresd FamRZ 03, 1489; Rostock FamRZ 07, 1835: Besuch weiterführender Schule; 20, 102; Naumbg FamRZ 11, 308: auch wenn umzugsbedingt; Schlesw FamRZ 11, 1304), der Fächer und Fachrichtungen, Besprechung mit Lehrern wegen gefährdeter Versetzung, Entscheidung über Internatserziehung, Wahl der Lehre und der Lehrstelle; Kindergartenwahl (Frankf FamRZ 09, 894); begleitetes Fahren (AG Hannover 14, 856); Teilnahme an Notbetreuung während Coronakrise (AG Aachen FamRZ 20, 1177); ja: Entschuldigung im Krankheitsfall, Teilnahme an Sonderveranstaltungen, Notwendigkeit von Nachhilfe (Naumbg FamRZ 06, 1058), unbedeutendere Wahlmöglichkeiten iRd gewählten Ausbildungsgangs (zB Wahlfächer, Schulchor; ebenso Staud/Salgo § 1687 Rz 43), Auswahl der Begleitperson zu Schule, Kindergarten, Hort (Bremen FamRZ 09, 355), An-/Abmelden in Kindertageseinrichtung (VG Köln FamRZ 14, 55). Gesundheit: nein: Grdl Entscheidungen der Gesundheitsvorsorge, Operationen und andere medizinische Behandlungen mit erheblichen Risiken (vgl Bambg FamRZ 03, 1403, das zu Recht die Frage der Behandlung eines hyperkinetischen Syndroms wegen der uU hervorgerufenen Nebenwirkungen als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ansieht), Impfungen (KG FamRZ 06, 142; Frankf FamRZ 16, 834; 23, 1875; Jena FamRZ 16, 1175; zu Corona: Frankf FamRZ 21, 1533 mAnm Lipp; München FamRZ 21, 1980), auch Standard- oder Routineimpfungen (BGH FamRZ 17, 1057 mAnm Löhnig/Preisner; aA Dresd FamRZ 11, 48; Frankf FamRZ 11, 47; 21, 853; AG Darmstadt FamRZ 16, 248); ja: Behandlung leichterer Erkrankungen üblicher Art (zB Erkältungen), alltägliche Gesundheitsvorsorge, Durchführung Corona-Schnelltest (AG Marl FamRZ 21, 761; anders AG Mainz FamRZ 21, 1118, wenn Zweck die Teilnahme an Präsenzunterricht, ähnlich Bambg FamRZ 21, 1537). Aufenthalt: nein: Grundentscheidung, bei welchem Elternteil das Kind lebt, freiheitsentziehende Unterbringung; ja: Aufenthaltsbestimmung im Einzelnen (zB Teilnahme am Ferienlager – aber s.u. Rn 8 bei Auslandsaufenthalten – Besuch bei Großeltern). Umgang: nein: Grundentscheidung des Umgangs gem §§ 1632 II, 1684, 1685 (Ob und Dimension; Dresd FamRZ 05, 1275; Jena FamRZ 09, 894); ja: Einzelentscheidungen im täglichen Vollzug (zB Kontakte des Kindes zu den Nachbarn, Fernhalten eines unerwünschten Freundes), Begleitperson zu Schule, Kindergarten, Hort (Bremen FamRZ 09, 355); Kita-Abholung (Dresd FamRZ 19, 1334). Soziale Medien: Bilderlöschung im Internet: nein (Oldbg FamRZ 18, 1517). Status- und Namensfragen: Stets nein (vgl Dresd FamRZ 09, 1330, 1331: Vaterschaftsanfechtung; Stuttg FamRZ 11, 305: Familiennamenswahl; Staud/Salgo § 1687 Rz 47); beachte § 1617 II. Fragen der Religion: Grds nein; vgl dazu aber G über die religiöse Kindererziehung, das vorrangig ist. Geltendmachung von Unterhalt: Grds nein; beachte § 1629 II 2, III 1. Vermögenssorge: nein: Grdl Fragen der Anlage und der Verwendung des Kindesvermögens; ja: vergleichsweise unbedeutende Angelegenheiten wie die Verwaltung von Geldgeschenken; Taschengeld und Verwendung desselben iRv § 110 (Staud/Salgo § 1687 Rz 48). Sonstiges: nein: Betreuung durch Tagesmutter (Karlsr FamRZ 20, 1380).
Rn 8
Bei der Entscheidung, ob ein Kleinkind mit einem Elternteil einen Ferienaufenthalt im Ausland verbringen kann, handelt es sich um keine Angelegenheit des täglichen Lebens, sondern um eine solche von erheblicher Bedeutung, zumal bei derartigen Reisen typischerweise Gesundheitsgefahren für ein kleines Kind bestehen (Naumbg FamRZ 00, 1241; Köln FamRZ 99, 249). Dasselbe gilt für ältere Kinder, wenn eine besondere Gefahrenlage im Urlaubsland besteht (AG Heidelberg FamRZ 03, 1404; Frankf FamRZ 16, 1595: Türkeiurlaubsreise; Braunschw FamRZ 20, 1658: Mallorca-Reise während Corona-Pandemie); daher nicht bei Großbritannien (KG FamRZ 16, 2111) und Urlaubsreise in Baderesort in Thailand (KG FamRZ 17, 1061), aber auch bei Fernreisen in einen zumindest nicht umfassend vertrauten Kulturkreis (Köln Fa...