Rn 2
Zunächst muss ein Betreuer/Bevollmächtigter handeln, dem der Aufgabenkreis der ärztlichen Behandlung oder Heilbehandlung (ggf mit Beschränkung auf einen bestimmten ärztlichen Bereich) übertragen wurde. Beim Bevollmächtigten müssen die in I 1 genannten Maßnahmen ausdrücklich von der schriftlich erteilten Vollmacht umfasst werden (V). Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden Schadens verbunden sein kann (BGH BtPrax 16, 187 [BGH 06.07.2016 - XII ZB 61/16]). Ggf kann es auch zu der Genehmigung einer Behandlung gegen den Willen des Betreuten kommen. Allerdings wird diese Möglichkeit dadurch eingeschränkt, dass auch in Bezug auf medizinische Maßnahmen, der auch sonst das Betreuungsrecht bestimmende Grundsatz des Vorrangs des Willens des Betroffenen, zu beachten ist (§ 1821 II 1). Der Betreuer hat dabei auch den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu berücksichtigen. Dies gilt auch, wenn der Betreute einen der Sache nach gebotenen medizinischen Eingriff ablehnt (Staud/Bienwald § 1904 aF Rz 23; BGH FamRZ 16, 1671). Der Betreuer darf in diesem Fall nur vom Willen des Betroffenen abweichen, wenn das Wohl des Betreuten dies verlangt oder die Befolgung seines Willens für ihn unzumutbar ist. Hat der Betroffene seinen Willen in einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht niedergelegt (vgl § 1827 Rn 2), so bindet diese den Betreuer/Bevollmächtigten (Roth JZ 04, 494) u das BtG (BGH BtPrax 14, 268). Zur grds Bindungswirkung einer Patientenverfügung für Ärzte, Angehörige und Betreuer vgl nunmehr § 1827.
Rn 3
Zu den durch das BtG zu genehmigenden ärztlichen Maßnahmen zählen die Untersuchung des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe (I 1). Diese Aufzählung umfasst alle denkbaren medizinischen Maßnahmen mit Ausnahme der Organspende, die nicht genehmigungsfähig ist (Deinert BtPrax 98, 60).
Eine zwangsweise Durchsetzung des genehmigten Eingriffs gegen den Willen des Betreuten ist außerhalb einer geschlossenen Unterbringung unzulässig (BGH FamRZ 01, 149).
Rn 4
Voraussetzung der Genehmigungspflicht nach I ist die begründete Gefahr, dass der Betreute aufgrund von ärztlichen Maßnahmen stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet und der Betroffene nicht in einer Patientenverfügung den entsprechenden eigenen Willen niedergelegt hat (BGH FamRZ 17, 748). Eine begründete Gefahr ist dabei nur bei einer konkreten und naheliegenden Möglichkeit des Schadenseintritts gegeben. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich (vgl den Vorschlag von Wiesbach ua BtPrax 97, 48: begründet Gefahr erst ab 20 %iger Wahrscheinlichkeit). Nicht ausschließbare Risiken oder seltene Nebenwirkungen lösen noch keine Genehmigungspflicht aus (LG Berlin FamRZ 93, 599; Dose FamRZ 93, 1032 mwN). Die Schwere der Gesundheitsbeschädigung kann in Anlehnung an § 224 StGB bestimmt werden, ohne dass die dortige Aufzählung abschließend ist. Entscheidend ist das Maß der Beeinträchtigung der alltäglichen Lebensführung aufgrund der Behandlung ggü einem gesunden Menschen (Jürgens/Marschner § 1829 Rz 6). Als länger ist ein gesundheitlicher Schaden nach der amtlichen Begründung (BTDrs 11/4528, 141) idR einzustufen, wenn er mindestens ein Jahr dauert, bei besonders schweren Schäden kommen auch kürzere Zeiträume in Betracht (Staud/Bienwald § 1904 aF Rz 45; LG Hamburg FamRZ 94, 1204: für Elektrokrampfbehandlung 6 Monate). Als genehmigungsbedürftige Untersuchungen gelten zB die Leberblindpunktion (MüKo/Schwab § 1904 aF Rz 14) und die Herzkatheterisierung (BVerfGE 16, 194 [BVerfG 10.06.1963 - 1 BvR 790/58]). Bei den operativen Maßnahmen werden ua als genehmigungsbedürftig eingestuft: Herzoperationen, Transplantationen und neurochirurgische Operationen (MüKo/Schwab § 1904 aF Rz 14). Zu den nicht operativen Behandlungsmethoden, die einer Genehmigung bedürfen, zählen zB Chemotherapie und Strahlenbehandlung (MüKo/Schwab § 1904 aF Rz 14). Nicht genehmigungspflichtig ist die im Bereich der psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen angewendete Elektrokrampftherapie (Bundesärztekammer, DÄ 03, A 504; aA Jürgens/Marschner § 1829 Rz 9 mwN), auch nicht die Ernährungssonde durch die Bauchdecke PEG (Schreiber BtPrax 03, 148; aA AG Ludwigsburg FamRZ 17, 748) oder die Einwilligung in eine Corona-Schutzimpfung, wenn keine begründete Gefahr eines konkreten Schadenseintrittes zu besorgen ist (LG Stuttgart FamRZ 21, 1746).