Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 6
Insb Bedingungen, die den Bedachten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bewegen sollen, sind an § 138 I zu messen. Dabei ist grds auf den Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung abzustellen; bei einem Wertewandel dürfte es angezeigt sein, auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen, um den Verfügungen des Erblassers zur Wirksamkeit zu verhelfen (s Vor §§ 2064 ff Rn 14).
Rn 7
Eine Bedingung ist dann sittenwidrig, wenn sie unerträglich in das Selbstbestimmungsrecht des Bedachten eingreift, was nur dann der Fall sein kann, wenn die Zuwendung so erheblich ist, dass sie dazu geeignet erscheint, die Willensentschließung des Bedachten zu beeinflussen, indem sie unzumutbaren Druck ausübt (BVerfG ZEV 04, 241 [BVerfG 22.03.2004 - 1 BvR 2248/01]). Nicht sittenwidrig sind Bedingungen, die geeignet und bestimmt sind, Verantwortung und Gewinnberechtigung bei ererbten Unternehmen miteinander zu verbinden (München ZEV 07, 582 [OLG München 16.07.2007 - 21 U 1836/07]), den Bestand des Nachlasses beim Bedachten zu erhalten oder vor dem Zugriff Dritter zu schützen, ferner Vereinbarung der Gütertrennung, Ausschluss des Zugewinnausgleichs, Wiederverheiratungsklauseln in Ehegattentestamenten, die bei erneuter Heirat des überlebenden Ehegatten den Abkömmlingen sofort ihren Erbteil zukommen lassen und den Ehegatten auf seinen gesetzlichen Erbteil beschränken, Verfügung über den Nachlass auf bestimmte Weise, abhängig von Abschluss einer bestimmten Ausbildung, Drogenentzug, Pflichtteilsverlangen oder -erhalt eines Kindes bereits nach dem Tode des ersten Elternteils (Verwirkungsklausel im Ehegattentestament, BGH FamRZ 91, 796; BayObLG ZEV 95, 19). Eine sog Pflichtteilsstrafklausel erfasst regelmäßig jedes Verhalten eines nach dem Tod des zweiten Ehegatten als Schlusserben eingesetzten, das iwS als Verlangen des Pflichtteils nach dem Tode des ersten Ehegatten ausgelegt werden kann, also etwa auch die Stundung des Pflichtteils als verzinsliches Darlehen (München FGPrax 06, 123), das Geltendmachen eines nicht mehr bestehenden Pflichtteilsanspruchs (München ZEV 08, 341) oder die bloße ›Störung des Rechtsfriedens‹ (Karlsr 17.11.10 – 11 Wx 110/09), nicht jedoch einen Angriff auf die Erbenstellung des Überlebenden überhaupt (München FamRZ 19, 924) oder ein Auskunftsbegehren hinsichtlich des Nachlasses (Frankf NJW-RR 22, 729). Vgl noch § 2084 Rn 5 u § 2269 Rn 8. Die Klausel lässt ggf die insoweit auflösend bedingte Schlusserbeneinsetzung entfallen; bei einem Berliner Testament kann hier der Eintritt der auflösenden Bedingung auch nach dem Tod des längst lebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Erstverstorbenen herbeigeführt werden (BGH ZEV 06, 501 [BGH 12.07.2006 - IV ZR 298/03]).
Rn 8
Sittenwidrig sind Bedingungen, die eine Zuwendung von Entscheidungen des Bedachten abhängig machen, die in keinem sachlichen Zusammenhang zum Zuwendungsgegenstand oder dessen Erhaltung stehen und in die persönliche Selbstbestimmung eingreifen (Ddorf NJW 88, 2615): Heirat eines bestimmten Partners, Wechsel der Konfession, Parteizugehörigkeit, Eintritt in den Priesterstand, Wahl eines Berufs ohne Zusammenhang mit der Zuwendung. Anderes kann im Hinblick auf die in § 2077 ausgedrückte Wertung gelten, wenn die Zuwendung zugunsten des Ehegatten durch Scheidung oder Stellung des Antrags auflösend bedingt wird (vgl Naumbg FamRZ 19, 1656; Ddorf ErbR 19, 438).
Rn 9
Die Sittenwidrigkeit einer Bedingung führt grds zur Nichtigkeit der bedingten Verfügung insgesamt, da es nicht Sache des Erbrechts ist, die sittenwidrige Gesinnung des Erblassers zu bestrafen und dem bedingt Bedachten die Zuwendung zukommen zu lassen (Erman/Schmidt/Nobis § 2074 Rz 2; aA Staud/Otte § 2074 Rz 77; differenzierend Soergel/Loritz/Uffmann § 2074 Rz 34–36, die jedenfalls bei auflösenden Bedingungen §§ 139 oder 2085 anwenden wollen; grds krit Breustedt ZEV 21, 670). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auslegung ergibt, dass der Erblasser dem Bedachten lieber eine unbedingte Zuwendung als überhaupt keine machen wollte (Frankf FamRZ 19, 920 m Anm Berneith). Eine Umdeutung (§ 140) der unwirksamen bedingten in eine wirksame unbedingte Verfügung kommt hingegen nicht in Betracht, weil der Erblasser gerade nicht unbedingt verfügen wollte.