Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 3
Der Erblasser kann die Absicht, einem Erben sein Vermögen oder einen Teil hiervon im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zuzuwenden, auf vielfältige Weise ausdrücken. Ob er in dieser Weise über sein Vermögen verfügen wollte, ist allein aus seiner Sicht zu beurteilen. Maßgeblich sind dabei die Vorstellungen des Erblassers bei Errichtung der Verfügung (Rostock ErbR 22, 607 [OLG Rostock 08.02.2022 - 3 W 143/20]). Daher wird eine Erbeinsetzung nicht durch einen nach der Errichtung eingetretenen Vermögenserwerb berührt (vgl aber § 2078: Motivirrtum).
Rn 4
Es ist also ein Vergleich der vom Erblasser verfolgten wirtschaftlichen Zwecke mit den Rechtswirkungen einer Erbeinsetzung und eines Vermächtnisses durchzuführen. Wollte der Erblasser sein Vermögen mehr oder weniger umfassend auf eine oder mehrere Personen übergehen lassen, die eine starke Stellung erhalten (BayObLG FamRZ 01, 1174), die Nachlassabwicklung übernehmen (BayObLGZ 86, 604) und wirtschaftlich an die Stelle des Erblassers treten sollen, also auch die Nachlassverbindlichkeiten tragen sollen (BayObLG FamRZ 86, 604), so spricht dies für eine Erbeinsetzung (BayObLGZ 65, 460). Ob dem Begünstigten nach Begleichung der Nachlassverbindlichkeiten und Erfüllung der Vermächtnisse und Auflagen überhaupt ein wirtschaftlich nennenswerter Vermögensvorteil verbleibt, entscheidet nicht über seine Berufung zum Erben (BayObLG FamRZ 03, 119), doch dürfte, wenn ihm praktisch nichts verbleibt, eher keine Erbeinsetzung gewollt sein.
Rn 5
Auch eine Verfügung über einen einzelnen Vermögensgegenstand, der fast das gesamte Erblasservermögen im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung ausmacht, wird idR als Erbeinsetzung anzusehen sein (BGH ZEV 17, 629; Brandbg 24.1.23 – 3 W 113/22; BayObLG FamRZ 97, 1177: Immobilie, die den wesentlichen Nachlasswert bildet; LG Mönchengladbach 7.11.17 – 3 O 99/15: mindestens 90 %; vgl noch BayObLG FamRZ 98, 76; Saarbr NJW-RR 22, 1021; zu einem Gegenbeispiel BayObLG FamRZ 04, 567; für den Erwerb weiteren Vermögens nach Testamentserrichtung BGH ZEV 17, 629 m Anm Leipold). Die Erbeinsetzung bezieht sich dann freilich auf den Nachlass, nicht etwa auf den Einzelgegenstand (Staud/Avenarius § 2100 Rz 8; Hahn ZEV 16, 360). Schließlich wird man auch bei einer (nahezu) erschöpfenden Vermögensverteilung auf mehrere Erben nicht nach Bruchteilen, sondern nach einzelnen Vermögensgruppen (Köln ErbR 22, 1023) oder Gegenständen von einer Erbeinsetzung, ggf verbunden mit einer Teilungsanordnung (§ 2048) oder Vorausvermächtnissen (§ 2150) ausgehen können (BGHZ 120, 96; BayObLG FamRZ 04, 312; Ddorf ErbR 18, 509). Die Bruchteile bestimmen sich dann idR nach den Wertverhältnissen zur Zeit der Errichtung der Verfügung (BGH LM § 2084 Nr 12), wenn es dem Erblasser nicht gerade auf die Zuwendung der Gegenstände als solcher ankam (Ddorf NotBZ 13, 389).
Rn 6
Wird hingegen nicht das gesamte Vermögen nach Gegenständen oder Vermögensgruppen verteilt, kann nicht ohne Weiteres von einer erschöpfenden Einsetzung nach Bruchteilen ausgegangen werden. Es kommt auch eine Erbeinsetzung iSd § 2088 oder eine Kombination aus Erbeinsetzung/en und Vermächtnissen (BayObLG NJW-RR 95, 1096 [OLG Hamm 06.01.1995 - 12 UF 269/94]) in Betracht.