I. Verfügung vTw.
Rn 12
Die §§ 2104 und 2105 dienen der Vervollständigung unvollständiger Verfügungen vTw. § 2104 ordnet Nacherbschaft an und bestimmt den Nacherben für den Fall, dass der Erblasser nur verfügt hat, der Erbe solle nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis Erbe sein (sog konstruktive Nacherbfolge). § 2105 macht den eingesetzten Erben, der die Erbschaft erst mit einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis erhalten soll oder beim Erbfall noch nicht gezeugt ist, zum Nacherben, und bestimmt die Vorerben (sog konstruktive Vorerbschaft).
II. Auslegung.
Rn 13
Vielfach wird sich die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft erst aus einer Auslegung der Verfügung vTw ergeben. Entscheidend dabei ist, ob der Erblasser wollte, dass die Erbschaft zweimal anfällt.
Rn 14
Das sog Berliner Testament enthält im Zweifel keine solche Anordnung. Vielmehr wird im Zweifel der zuletzt versterbende Ehegatte Vollerbe des zuerst Verstorbenen, und der Dritte wird als Vollerbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten ›Schlusserbe‹ (§ 2269 I). Diese Auslegungsregel kann auch dann greifen, wenn der Dritte ausdrücklich als Nacherbe bezeichnet ist (BGH NJW 83, 277 [BGH 22.09.1982 - IVa ZR 26/81]). Die Einsetzung eines ›Alleinerben‹ schließt die Annahme einer Vorerbschaft nicht aus; dagegen ist der Ausdruck ›Vollerbe‹ für die Auslegung regelmäßig verbindlich (Staud/Avenarius § 2100 Rz 24).
Rn 15
Wiederverheiratungsklauseln, denen zufolge der zum Erben eingesetzte überlebende Ehegatte im Fall seiner Wiederheirat sein Erbrecht verlieren und den Nachlass an Dritte (meist die gemeinsamen Kinder) herausgeben soll, führen nach BGHZ 96, 198, 202 ff zu einer eigenartigen Kombination: Der überlebende Ehegatte ist zugleich als auflösend bedingter Vollerbe und als aufschiebend bedingter Vorerbe anzusehen, wobei die Bedingung und der Nacherbfall in der Wiederheirat liegen; in diesem Fall sind die Dritten Nacherben. Verstirbt der überlebende Ehegatte, ohne sich wiederverheiratet zu haben, so tritt die Bedingung nicht ein; er ist Vollerbe geblieben und wird seinerseits nach allg Regeln beerbt. Neuerdings werden Bedenken gegen die Wiederverheiratung als auflösende Bedingung erhoben (s Rn 36).
Rn 16
Bei zeitlich begrenzter Zuwendung der Verwaltung und Nutznießung am Nachlass (Nießbrauchsvermächtnis) ist die Abgrenzung von der Vor- und Nacherbschaft schwierig (dazu Avenarius in: Handbuch des Erbrechts, 2008, 1034). Die Rspr hat mehrfach eine Vorerbschaft angenommen, wenn dem Nießbraucher die freie Verfügung über den Nachlass zugewendet war (BayObLG NJW 60, 1765 [BGH 08.07.1960 - IV ZB 201/60]) oder wenn er sogleich dinglicher Vermögensinhaber und Herr des Nachlasses sein sollte, ohne sich erst beim Erben um die Einräumung eines Nießbrauchs bemühen zu müssen (BGH LM Nr 2 zu § 2100; Ddorf ZEV 21, 542). Die günstigere steuerliche Behandlung (s Rn 26) kann dagegen für ein Nießbrauchsvermächtnis sprechen (BayObLG NJW 60, 1765 [BGH 08.07.1960 - IV ZB 201/60]).
Rn 17
Jede aufschiebend bedingte Erbeinsetzung führt zur Vor- und Nacherbschaft, ebenso die auflösend bedingte, sofern die Bedingung beim Erbfall noch nicht eingetreten ist (MüKo/Leipold § 2074 Rz 13; BayObLG ZErb 05, 53, 55).
Rn 18
Vielfach liegt in einem Testiergebot an den Erben (Gebot, eine bestimmte Person als seinen Erben einzusetzen) die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft, in einem Testierverbot ggü dem Erben die Einsetzung seiner gesetzlichen Erben als Nacherben. Verbietet der Erblasser dem Erben, den Nachlass an andere als die von ihm genannten Personen weiter zu vererben, so kann darin deren Einsetzung als Nacherben liegen (BayObLGZ 58, 226; BayObLG FamRZ 86, 608; Köln ErbR 18, 271).
Rn 19
Auch die vom Erblasser letztwillig geäußerte Erwartung, der Erbe werde seinen Nachlass einem bestimmten Dritten zukommen lassen, kann als dessen Einsetzung zum Nacherben ausgelegt werden (BGH IV ZR 17/50 v 11.10.51), nicht dagegen eine nur moralisch gemeinte Verpflichtung (Hamm DNotZ 63, 559 [BGH 04.07.1962 - V ZR 14/61]).
Rn 20
Die Berufung zum Ersatzerben (§ 2096) enthält dagegen im Zweifel nicht die Berufung zum Nacherben und damit auch nicht die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft. Das folgt aus § 2102. Die fehlende Rechtskunde des Erblassers kann jedoch zu einem anderen Ergebnis führen (BGH LM Nr 1 zu § 2100).
III. Motive.
Rn 21
Die Motive für die letztwillige Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sind vielfältig. Sie lassen sich indessen alle auf zwei kennzeichnende Umstände dieser Rechtsfigur zurückführen:
Rn 22
Dies ist zum einen die zeitliche Aufeinanderfolge zweier Erben. Sie kann den Erblasser motivieren, wenn er
- den Nacherben auf eine gewisse Zeit vom Nachlass fernhalten will, weil er ihn für noch unvernünftig oder nicht hinreichend ausgebildet oder unfähig (Gewerbebetrieb) hält oder weil er ihm erst zu einem bestimmten Zeitpunkt (Heirat) etwas zuwenden will, oder
- den Nachlass möglichst lange als Einheit in der Familie erhalten will (nach Art der früheren Fideikommisse) oder
- den Anfall der Erbschaft bei bestimmten gesetzlichen oder gewillkürten...