Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 3
Die Ehegatten müssen einander gegenseitig zu Erben eingesetzt haben. Dies muss nicht wechselbezüglich gem § 2270 erfolgt sein. Ist ein Dritter als Miterbe eingesetzt, findet § 2269 keine Anwendung; die Ehegatten wollen dann offenbar nicht, wie § 2269 es voraussetzt (s Rn 2), ihr Vermögen als Einheit erhalten. Möglich ist, dass sich die nicht ausdrücklich vorgenommene Einsetzung des überlebenden Ehegatten erst aus der Schlusserbeneinsetzung ergibt, jedenfalls wenn die Letztere sonst ausfiele (Brandbg ErbR 21, 685 [OLG Brandenburg 30.03.2021 - 3 W 38/21]). Die Verfügungen können in mehreren zeitlich getrennten Teilakten errichtet werden, sofern die Testierenden sie als Einheit gelten lassen wollen (Brandbg FGPrax 23, 75 [OLG Brandenburg 17.01.2023 - 3 W 133/22]).
Rn 4
Ist die Erbeinsetzung des Dritten nicht ausdrücklich verfügt, kann sie sich ggf im Wege der Auslegung ergeben. Sollen aufgrund einer Strafklausel beiderseits pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge vom letztversterbenden Ehegatten nur den Pflichtteil bekommen, falls sie ihn vom Erstversterbenden verlangen (Jastrowsche o Pflichtteilsstrafklausel), dann kommt die Einsetzung dieser Abkömmlinge als Schlusserben in Betracht (BayObLGZ 59, 203; 60, 219; Frankf FGPrax 01, 246 [OLG Frankfurt am Main 28.08.2001 - 20 W 432/00]; Saarb NJW-RR 94, 844 [OLG Saarbrücken 06.01.1994 - 5 W 119/93 - 70] gegen 92, 841), ist allerdings nicht zwingend (Hamm ZEV 23, 231 [OLG Hamm 29.03.2022 - 10 W 91/20]; i Zw abl Ddorf NJW-RR 14, 837; restriktiv Fischer ZEV 05, 189). Gleiches gilt, wenn die Abkömmlinge nach fortgesetzter Gütergemeinschaft (§ 1483) den Nachlass teilen sollen (BayObLGZ 86, 246). Die Errichtung des Testaments unter Mitwirkung eines Notars schließt eine solche Auslegung jedenfalls nicht aus (München ZErb 12, 235).
Rn 5
Die Regel findet nur Anwendung, wenn Zweifel am Erblasserwillen bestehen, die sich auch durch Auslegung nicht klären lassen (BGHZ 22, 366; Ddorf FamRZ 96, 1568). Auf einen entgegenstehenden Willen kann uU die verwendete Terminologie hindeuten. Dies kommt etwa in Betracht, wenn im öffentlichen Testament die Ausdrücke ›Vorerbe‹ sowie ›Nacherbe‹ verwendet werden. Wenn die Eheleute einander allerdings im eigenhändigen Testament zu ›Vorerben‹ eingesetzt haben, während beiderseitige Verwandte oder Abkömmlinge ›Nacherben‹ sein sollen, kann gleichwohl zweifelhaft sein, ob Nacherbschaft gewollt ist (BGH NJW 83, 278 m Anm Stürner JZ 83, 149; Schlesw FamRZ 17, 403; Ddorf aaO m Anm Leipold; s aber BayObLG NJW-RR 92, 201). Umgekehrt entscheidet die Verwendung des Ausdrucks ›Berliner Testament‹ nicht über das Ergebnis der Auslegung (Hamm ZErb 14, 286), kann aber ein Indiz bilden (Celle ErbR 23, 135 m Anm Kampmann). Ist ein Ehegatte vermögenslos, dann spricht dies nicht zwingend dafür, dass er im Falle seines Überlebens durch Nacherbeneinsetzung beschränkt sein soll (BGH NJW 83, 278 [BGH 22.09.1982 - IVa ZR 26/81]; BayObLG NJW 66, 1223), falls nicht der Wille des vermögenden Teils ersichtlich ist, den Überlebenden in der Verfügungsbefugnis zu beschränken (Stürner JZ 83, 149). Hat ein Ehegatte im Hinblick auf ein ihm allein gehörendes Grundstück Anordnungen für den zweiten Erbfall getroffen, dann kann Nacherbeneinsetzung gewollt sein (BayObLG FamRZ 96, 1503). Wenden Ehegatten bei Gütergemeinschaft den Abkömmlingen Gegenstände aus dem Gesamtgut zu, ist kein Fall des § 2269 gegeben (BayObLG FamRZ 88, 542).
Rn 6
Die Erbeinsetzung für den Fall gleichzeitigen Versterbens beider Ehegatten (›Katastrophenklausel‹) ist der Auslegung zugänglich (vgl Keim ZEV 05, 11; Kleffmann ZNotP 18, 91). Die Regelung muss also nicht auf den Fall des Versterbens im selben Augenblick beschränkt sein, sondern gilt uU auch für den Fall, dass die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums (BGH NJW 19, 2317; Ddorf FamRZ 04, 1754; vgl Brandbg MDR 19, 554) nacheinander sterben und der zunächst Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten (BayObLG ZEV 04, 201 m Anm Kasper; München ZEV 22, 21; FamRZ 19, 72; Rostock FamRZ 22, 1813). Unter diesen Voraussetzungen liegt kein Fall des § 2269 vor. Für die Auslegung von Verfügungen, die sinngemäß den Fall des Versterbens in engem Zusammenhang voraussetzen, vgl BayObLGZ 79, 432; Rpfleger 83, 402: ›nach unserem Ableben‹; Frankf FGPrax 98, 110: ›Sollten wir zugleich versterben‹; KG FamRZ 06, 511; BayObLG FGPrax 00, 70; 150; sehr weit gehend München 30.7.08 – 31 Wx 29/08. Die Einsetzung Dritter für den Fall ›gemeinsamen Ablebens‹ der Erblasser sieht Ddorf ErbR 21, 793 auf den Fall bezogen, dass beide verstorben sein würden; dies gab Raum für die Feststellung einer Schlusserbeneinsetzung. Vgl nun Frankf ZEV 22, 456 [OLG Frankfurt am Main 19.10.2021 - 20 W 221/18].