Prof. Dr. Martin Avenarius
Rn 7
Der Schlusserbe erwirbt nach dem ersten Erbfall eine Anwartschaft auf den Erwerb (BGH 6.5.54 – IV ZR 217/53). Es handelt sich lediglich um eine rechtlich begründete Aussicht, kein Anwartschaftsrecht, das durch § 823 I geschützt wäre (Staud/Raff Rz 21). Ihm steht im Falle einer Anfechtung des Testaments durch den überlebenden Ehegatten oder einer Verfügung desselben entgegen § 2271 II die Feststellungsklage zur Verfügung (vgl BGHZ 37, 333; MüKo/Musielak Rz 39). Er kann aber nicht gem § 311b IV u V über die Anwartschaft verfügen (vgl BGHZ 37, 323 zu § 312 aF). Die Anwartschaft ist nicht vererblich; unter den Voraussetzungen des § 2069 treten allerdings die Abkömmlinge des Schlusserben ein. Stammt der ausgefallene Schlusserbe nur vom erstverstorbenen Ehegatten ab (BGH NJW-RR 01, 1154), kann die Auslegung ergeben, dass die Abkömmlinge eingesetzt sind. Ausschlagen kann der Schlusserbe erst nach dem zweiten Erbfall, weil er nur den letztversterbenden Ehegatten beerbt (BGH NJW 98, 543; aM die Vorinstanz Ddorf FamRZ 96, 1569 m krit Anm Leipold).
Rn 8
Ist der Schlusserbe pflichtteilsberechtigt, so kann er bereits nach dem ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlangen; § 2306 I 2 findet keine Anwendung. Um den überlebenden Ehegatten vor dem Pflichtteilsverlangen zu schützen, kann in das Testament eine Klausel aufgenommen werden, die den Schlusserben, falls er seinen Pflichtteil fordert (vgl Frankf ZEV 23, 450 [OLG Frankfurt am Main 21.02.2023 - 21 W 104/22] ›beansprucht und erhalten hat‹), auch nach dem Letztversterbenden auf den Pflichtteil beschränkt (s.o. Rn 4). Der Bedingungseintritt kann auch nach dem Tod des Letztversterbenden, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Erstverstorbenen herbeigeführt werden (BGH ZEV 06, 501 [BGH 12.07.2006 - IV ZR 298/03]). Auch die Geltendmachung des übergeleiteten Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger löst ihn aus (Karlsr FGPrax 21, 182 [OLG Frankfurt am Main 06.02.2021 - 21 W 167/20]), nicht allerdings beim Behindertentestament (vgl § 2084 Rn 5). Stundet der Schlusserbe dem überlebenden Elternteil die Zahlung des Pflichtteils hochverzinslich und durch Grundschuld gesichert, kann darin ein Verlangen des Pflichtteils iSd Strafklausel liegen (München FGPrax 06, 123). Bei der Berechnung beider Pflichtteilsansprüche wird das Vermögen des erstversterbenden Ehegatten allerdings zweimal zugrunde gelegt. Ein Ausgleich zugunsten der übrigen Abkömmlinge kann bewirkt werden, indem diesen ggf ein bis zum Schlusserbfall gestundetes Vermächtnis am ersten Nachlass ausgesetzt wird. Die infolge Verstoßes gegen eine Pflichtteilsstrafklausel weggefallene Schlusserbeneinsetzung kann nicht durch Zurückzahlung des Pflichtteils wiederhergestellt werden, weil die durch den Eintritt der Bedingung ausgelöste Rechtswirkung nicht wieder beseitigt werden kann (BayObLG ZEV 04, 204 [BayObLG 20.01.2004 - 1 Z BR 134/02] m krit Anm Ivo).