I. Der Angriff.
Rn 3
›Angriff‹ ist die von einem Menschen ausgehende drohende Verletzung rechtlich geschützter Individualinteressen (vgl BGH NJW 08, 571 [BGH 30.10.2007 - VI ZR 132/06] Rz 11). Angreifer iSd § 227 kann auch ein Schuldunfähiger wie bspw ein Kind oder ein Geisteskranker sein (BayObLG NJW 91, 2031 [BayObLG 28.02.1991 - RReg 5 St 14/91]). Erforderlich ist lediglich Handlungsfähigkeit. Sachen oder Tiere können keine Angreifer sein. Gegen sie ist Notstand nach § 228 möglich. Notwehr greift allerdings, wenn die Sache oder das Tier Werkzeug des menschlichen Angreifers ist. Bei juristischen Personen kann sich die Notwehr gegen deren Organe richten. Ein Angriff setzt stets ein nach wertender Betrachtung (vgl BVerfG NStZ 07, 397 ff [BVerfG 29.03.2007 - 2 BvR 932/06]: zu dichtem Auffahren; NJW 11, 3020 [BVerfG 07.03.2011 - 1 BvR 388/05]: zur ›Zweite-Reihe‹-Rspr des BGH bei Sitzblockaden) aktives Tun, nicht bloß ein Unterlassen oder Aufrechterhalten eines Zustandes voraus, da sonst die Abgrenzung der Notwehr zur Selbsthilfe und Notstand verschwömme (MüKo/Grothe Rz 5, einschr Staud/Repgen Rz 17). Die bloße Nichterfüllung zivilrechtlicher Pflichten, bspw die Räumungspflicht des Mieters, die Pflicht des Arbeitnehmers zum Verlassen des Arbeitsplatzes, die Herausgabepflicht eines Werkunternehmers oder Mieters (BGH NJW 67, 46, 47 [BGH 19.10.1966 - Ib ZR 156/64]), begründet kein Notwehrrecht.
II. Gegenwärtigkeit (§ 904 Rn 4–6).
Rn 4
Ein Angriff ist schon gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (BGH NJW 13, 2133 [BGH 25.04.2013 - 4 StR 551/12] Rz 17). Abgeschlossen und damit nicht mehr gegenwärtig ist ein Angriff, wenn eine konkrete Gefährdung nicht mehr besteht (BGH NStZ-RR 13, 305, 306 [BGH 04.07.2013 - 4 StR 213/13]) oder aber die Verletzung bereits vollständig verwirklicht wurde. Für die Gegenwärtigkeit ist es allerdings ausreichend, wenn weitere Verletzungen ernsthaft zu befürchten sind (BGH VersR 71, 629, 630), bei Beleidigungen also bspw mit weiteren Beleidigungen zu rechnen ist (BGH VersR 63, 730). Notwehr kann auch noch gegen den flüchtenden Dieb geübt werden, solange dieser die Beute nicht freigibt (BGH JZ 03, 961, 962). Ein von mehreren Personen ausgeübter Angriff ist erst dann beendet, wenn von Seiten sämtlicher Angreifer keine Gefahr mehr droht (Kiel Recht 22 Nr 1138).
III. Rechtswidrigkeit.
Rn 5
Ist der Angriff selbst rechtmäßig, kommt eine Berufung auf Notwehr zu dessen Abwehr nicht in Betracht. Dabei gilt iRd § 227 die Lehre vom Erfolgsunrecht (§ 823 Rn 11), wonach die Rechtswidrigkeit am Erfolg der Angriffshandlung und nicht an der Handlung selbst gemessen wird (ausf Staud/Repgen Rz 27 ff). Notwehr scheidet daher aus ua gegen Notwehr, insb auch bei wechselseitigen Notwehrlagen, ferner bei anderen Rechtfertigungsgründen wie einer wirksamen oder mutmaßlichen Einwilligung (§ 823 Rn 17) des Angegriffenen sowie gegen eine berechtigte GoA (§ 677 Rn 23). Die Notwehr, die das erforderliche Maß (Rn 8 f) überschreitet (Notwehrexzess), ist ihrerseits rechtswidrig, selbst wenn die Tat gem § 33 StGB straffrei ist (vgl BGH NJW 76, 42 [BGH 23.09.1975 - VI ZR 232/73]). Gegen unrechtmäßiges hoheitliches Handeln ist Notwehr unzulässig, wenn dem Betroffenen dagegen grds Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe offenstehen. Auf ein Verschulden des Angreifers kommt es bei § 227 nicht an.
Rn 6
Um eine Putativnotwehr handelt es sich, wenn der Betroffene eine Handlung irrtümlich für einen Angriff hält und sich entspr verteidigt. Unabhängig von der Frage des Verschuldens begründet die Putativnotwehr jedenfalls keine Rechtfertigung, sodass gegen diese Abwehrmaßnahme selbst wiederum Notwehr möglich ist. Zur Frage der Schadenersatzpflicht s BGH NJW 87, 2509 f. [BGH 26.05.1987 - VI ZR 157/86]