I. Verteidigungswille.
Rn 7
Als Notwehr ist auch im Zivilrecht (aA Jauernig/Mansel Rz 7; MüKo/Grothe Rz 18; Staud/Repgen Rz 53) eine Maßnahme immer nur dann gerechtfertigt, wenn sie vom Abwehrenden nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen vorgenommen wird. Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten. Dazu reicht nicht aus, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war. Der Gegenangriff muss zudem zumindest auch zu dem Zweck geführt worden sein, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille, das Recht zu wahren, ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (BGH NJW 13, 2133 [BGH 25.04.2013 - 4 StR 551/12] Rz 20: zu § 32 StGB). Das ist auch bei der Notwehrprovokation (Rn 9) zu berücksichtigen.
II. Erforderlichkeit.
Rn 8
Erforderlich ist die Verteidigung, die aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen zur sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand. Der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielen, insb durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und die Verteidigungsmöglichkeit des Angegriffenen (vgl BGH NStZ-RR 13, 105, 106). Der rechtswidrig Angegriffene muss nicht fliehen oder auf andere Weise dem Angriff ausweichen, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht noch die in ihrem Geltungsanspruch in Frage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (BGH NJW 13, 2133 [BGH 25.04.2013 - 4 StR 551/12] Rz 27). Trutzwehr ist aber erst erforderlich, wenn Schutzwehr keinen Erfolg verspricht oder sich bereits als erfolglos erwiesen hat. Der Verteidiger ist aber nur dann auf ungefährlichere Abwehrmaßnahmen verwiesen, wenn diese eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lassen, ohne dass Zweifel über die Wirkung des Verteidigungsmittels verbleiben; auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muss sich der Verteidiger nicht einlassen (BGH NJW 08, 571 [BGH 30.10.2007 - VI ZR 132/06] Rz 13, 27). Insoweit kann es auch erforderlich sein, anstelle eigener Maßnahmen hilfswillige Dritte oder staatliche Organe hinzuzurufen (RGSt 71, 133; BayObLG NJW 63, 825; aA AG Bensberg NJW 66, 733), insb wenn Dritte gefährdet würden (BGH NJW 78, 2028 [BGH 27.06.1978 - VI ZR 180/77]).
III. Grenzen der Rechtsausübung.
Rn 9
Im Bereich der Notwehr findet eine Güterabwägung anders als beim Notstand (§ 228) grds nicht statt (BGH NJW 76, 42 [BGH 23.09.1975 - VI ZR 232/73], Rn 8). Es darf ein höherwertiges Rechtsgut des Angreifers zum Schutz eines geringwertigen Eigenen verletzt werden. Wenn individueller Selbstschutz und Allgemeininteresse nur verhältnismäßig Marginal betroffen sind, ist aber selbst für die Notwehr dieser Grds über die Voraussetzung der ›Gebotenheit‹ (I) oder über § 242 (BGH NJW 09, 2530 [BGH 05.06.2009 - V ZR 144/08] Rz 16: zu § 859) eingeschränkt. Freilich lässt sich die Grenze zwischen scharfem Selbstschutz, der noch erlaubt ist, und unerträglichem Missverhältnis, das nicht erfasst ist (MüKo/Grothe Rz 20), kaum abstrakt abstecken. Öfter wird nach einem krassen Missverhältnis zwischen angegriffenem und verteidigtem Rechtsgut gefragt (vgl BayObLG NJW 95, 2644; Hamm NJW 72, 1826, 1827 [OLG Hamm 01.08.1972 - 3 Ss 224/72]). Daher darf grds nur nach Androhung und einem Warnschuss gezielt geschossen und müssen möglichst die Beine anvisiert werden (BGH NStZ 87, 322 [BGH 12.03.1987 - 4 StR 2/87]), wenn das unter den konkreten Umständen zumutbar ist, weil eine hohe Erfolgsaussicht und Überlegungszeit bestehen (vgl BGH NStZ 13, 105, 106: zum Messereinsatz ggü Unbewaffnetem) und keine weitere Eskalation droht (BGH NJW 12, 272, 274: zu Schüssen durch die Tür eines ›Hells Angels‹ zur Abwehr eines vermeintlichen Angriffs durch ›Bandidos‹). Ggü einem Obstdieb darf kein tödlicher Schusswaffengebrauch geübt werden (s.a. Braunschw MDR 47, 205); beim Dieb, der zuvor einen Zigarettenautomaten aufgebrochen hat, gilt schon wieder anderes (Hamm VersR 77, 934). Ggü Kindern und Geisteskranken wie auch innerhalb besonderer persönlicher Verhältnisse zB der Ehe (BGH NJW 69, 802 [BGH 26.02.1969 - 3 StR 322/68]; 75, 63) können gem § 242 besondere Einschränkungen des Notwehrrechts bestehen. Das gilt auch, wenn der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben oder selbst ...