Gesetzestext
1Wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht widerrechtlich, wenn die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. 2Hat der Handelnde die Gefahr verschuldet, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet.
A. Allgemeines.
Rn 1
Die gesetzlichen Regeln zum Notstand ergänzen diejenigen des Notwehrrechts (§ 227). Während Notwehr einen menschlichen Angriff voraussetzt, setzt der Notstand eine von einer Sache ausgehende Gefahr voraus. § 228 regelt den Defensivnotstand, der sich gegen die Sache richtet, von der die Gefahr ausgeht. Den sog aggressiven Notstand, bei dem auf eine Sache eingewirkt wird, von der die Gefahr gerade nicht ausgeht, normiert § 904. In § 34 StGB besteht zu § 228 eine Parallelvorschrift. Als bei von Sachen ausgehenden Gefahren speziellere Vorschrift geht § 228 in seinem Anwendungsbereich vor (Erb JuS 13, 17, 19; str). Die Einheit der Rechtsordnung gebietet es, dass die zivilrechtlichen Rechtfertigungstatbestände im Strafrecht und umgekehrt anerkannt werden. Zum Notstandsexzess und zum Putativnotstand vgl § 227 Rn 5 f entspr.
B. Notstandslage.
I. Drohende Gefahr.
Rn 2
Weitergreifend als § 227 oder § 904 setzt Notstand nur eine drohende, nicht sogar eine gegenwärtige Gefahr voraus. Die drohende Gefahr ist gegeben, wenn eine auf tatsächlichen Umständen gegründete Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Schaden eintritt (BGHSt 18, 271, 272); die bloße Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts reicht nicht. Notstandsfähig sind grds alle Rechtsgüter, nicht nur absolute Rechte, zB auch bloße Vermögensinteressen oder schuldrechtliche Ansprüche (RGSt 34, 297). Keine Gefahr iSv § 228 sind sozialadäquate Beeinträchtigungen wie allergieauslösende Pollen von ortsüblichen Pflanzen (vgl § 906 Rn 16 ff).
II. Sachgefahr.
Rn 3
In Abgrenzung zum § 904 ist es für § 228 erforderlich, dass die Gefahr für das zu schützende Rechtsgut von der (nicht eigenen) Sache in ihrem konkreten Zustand selbst ausgeht, gegen die die Maßnahme ergriffen wird. Durch die Einfügung des § 90a hat sich nichts daran geändert, dass Notstand auch gegen Tiere geübt werden kann (Hamm NJW-RR 97, 467 [OLG Hamm 14.03.1995 - 27 U 218/94]). Dabei muss die Gefahr von der Sache unmittelbar ausgehen (Staud/Repgen Rz 17 ff; Erman/Wagner Rz 4; aA Allgaier VersR 89, 788, 789), um nicht die Unterscheidung zwischen § 228 und § 904 mit dem dort angeordneten Schadensersatzanspruch zu verwischen. Erfasst ist das brennende Schiff, von dem sich der Brand auszuweiten droht (RGZ 143, 382, 387), nicht aber der an sich harmlose Deich, der eingerissen wird, damit Wasser ablaufen kann (RGZ 71, 240, 242).
C. Notstandshandlung.
I. Abwehrwillen und Erforderlichkeit.
Rn 4
Ebenso wie die Notwehr setzt auch eine Notstandshandlung den notwendigen Abwehrwillen (§ 227 Rn 7) voraus (BGHZ 92, 357, 359) und muss sie den Anforderungen der Erforderlichkeit genügen (dazu zunächst § 227 Rn 8; Naumbg NStZ 13, 718 Rz 5; Hamm NJW-RR 01, 237, 238 [OLG Hamm 29.08.2000 - 9 U 20/00]). Anders als bei der Notwehr schließt die Möglichkeit, der Gefahr in zumutbarer Weise auszuweichen, die Erforderlichkeit der Notstandshandlung aus (Erman/Wagner Rz 6). Bei der Gefahr durch Sachen tritt der, der sie abwehrt, nicht als Wahrer des Rechts auf, da Sachen nicht Adressaten von Rechtsnormen sind; Flucht ist daher zumutbar (MüKo/Grothe Rz 9).
II. Verhältnismäßigkeit.
Rn 5
Anders als bei der Notwehr ist es für den Notstand erforderlich, dass der durch die Notstandshandlung angerichtete Schaden nicht außer Verhältnis zu der dem bedrohten Rechtsgut drohenden Gefahr steht. Aus der Sozialbindung des Eigentums folgt, dass das geschützte Rechtsgut nicht wertvoller sein muss als das geschädigte, da von diesem die Gefahr ausgeht und daher das Erhaltungsinteresse dessen Eigentümers wegen seiner Verantwortung dafür, dass es überhaupt zu dem Interessenkonflikt kam, ggü dem Interesse des Eigentümers des bedrohten Guts hintanstehen muss. Damit erklärt sich auch der Unterschied zu § 904, da einem an der Gefahrentstehung Unbeteiligten die Aufopferung seines Guts grds nicht zuzumuten (§ 904 Rn 12) und ihm ansonsten Schadensersatz zu leisten ist (§ 904 S 2). Das Leben immer und grds die körperliche Unversehrtheit stehen höher als Sachwerte (Hamm NJW-RR 01, 237 [OLG Hamm 29.08.2000 - 9 U 20/00]). Ggf kann eine Abwägung ergeben, dass zur Rettung einer besonders wertvollen Sache (Kronjuwelen) ganz geringfügige Körperverletzungen (leichte Kratzer) hinzunehmen sind. Ideelle Gesichtspunkte können berücksichtigt werden, insb bei Tieren. Im Fall, dass der Notstandstäter die Gefahr selbst verschuldet hat, zeigt der Schadensersatzanspruch in § 228 S 2, dass S 1 gleichwohl greift (Rn 6), doch muss ein solches Verschulden in die Abwägung eingestellt und im Extremfall die Berufung auf § 228 als rechtsmissbräuchlich versagt werden (§ 227 Rn 9).
D. Rechtsfolgen und Beweislast.
Rn 6
Das Vorliegen der Notstandsvoraussetzungen rechtfertigt die Notstandshandlung. Sie ist keine unerlaubte Handlung iSd §§ 823 ff. Hat der in Notstand Handelnde die Gefahr ...